Chemiker Prof. Stephan A. Sieber erhält Inhoffen-Medaille 2024
HZI und Technische Universität Braunschweig zeichnen Forscher aus
Für seine Forschung zu neuen Medikamenten gegen multiresistente Bakterien zeichnen der Förderverein des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und die Technische Universität Braunschweig Prof. Stephan A. Sieber von der Technischen Universität München mit der Inhoffen-Medaille 2024 aus. Die Verleihung fand am 13. Juni 2024 im Haus der Wissenschaft in Braunschweig statt.
Nachdem im Kampf gegen multiresistente Bakterien viele Antibiotika in der Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt worden sind, stagniert die Anzahl der neuentwickelten Wirkstoffe. Die meisten der derzeit verwendeten Antibiotika sind auf wenige zelluläre Zielstrukturen konzentriert. Krankheitserregende Bakterien konnten deshalb vielfältige Resistenzstrategien entwickeln. Daher sind Bakterien-Stämme, die gegen gängige Antibiotika resistent sind, auf dem Vormarsch.
Wegen der großen Anzahl von essenziellen Proteinen in Bakterien besteht ein enormes Potenzial zur Entschlüsselung bisher unbekannter Zielstrukturen für Antibiotika, für die es noch keine Resistenzstrategien gibt. Darauf hat sich die Arbeitsgruppe um Stephan Sieber fokussiert. Unter Nutzung von Techniken der synthetischen Chemie, der funktionellen Proteomik, von Mikrobiologie und Proteinbiochemie und deren Kombination werden neue antibakterielle Zielstrukturen entdeckt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse können Forschende neue Wirkstoffe identifizieren und durch chemische Veränderung optimieren.
Hans Herloff Inhoffen-Vorlesung: Mechanismen zur Selbstzerstörung von Bakterienzellen
In der 29. Hans Herloff Inhoffen-Vorlesung am 13. Juni, in dessen Rahmen die Auszeichnung stattfand, widmete sich Prof. Stephan Sieber dem Thema, wie die bakterielle Resistenz mittels chemischer Moleküle überwunden werden kann. Die hierbei gewählte Strategie beruht darauf, der bakteriellen Zelle massiven Schaden durch die Deregulation von biochemischen Prozessen zuzufügen. Dabei suchen die Wissenschaftler*innen um Prof. Sieber nach Mechanismen, wie sich Bakterien selbst zerstören können. Hierfür haben sie ein Molekül entwickelt, das eine Peptidase, die für die Sekretion von Proteinen verantwortlich ist, überaktiviert. „Mit dieser Überaktivierung kommt die Zelle aber nicht klar. Es werden dadurch Autolysine in unkontrollierter Anzahl ausgeschleust, die im nächsten Schritt die Zelle zerstören. Das ist die Dysregulation. Oder wir induzieren Stress in Bakterien, aber schalten gleichzeitig die Stressantwort, die also den Stress zumindest etwas neutralisieren soll, aus. Das ist dann ebenfalls fatal“, sagt Prof. Sieber zusammenfassend.
Preisträger Prof. Sieber studierte Chemie an der Universität Marburg und fertigte seine Doktorarbeit 2004 in den Laboratorien von Prof. C. T. Walsh an der Harvard Medical School (USA) und Prof. M. Marahiel an der Universität Marburg an. Nach einem Postdoc-Aufenthalt 2006 am Scripps Research (USA) mit Prof. B. F. Cravatt begann er mit seinen unabhängigen Forschungsarbeiten an der Ludwig-Maximilian-Universität München, die durch das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurden. 2009 erhielt er einen Ruf an die Technische Universität München als Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie II. In den Jahren 2011, 2016 und 2023 erhielt er einen ERC Starting Grant, ERC Consolidator Grant sowie einen ERC Advanced Grant.
Über den Preis
Der vom Förderverein des HZI vergebene und mit 8000 Euro dotierte Inhoffen-Preis gilt als die angesehenste deutsche Auszeichnung auf dem Gebiet der Naturstoffchemie. Er wird im Rahmen der Inhoffen-Vorlesung verliehen, einer gemeinsamen Festveranstaltung des HZI, der Technischen Universität Braunschweig und des Fördervereins des HZI. Preisträger:innen der vergangenen Jahre waren Christian Hertweck, Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (2020), Sarah Reisman, California Institute of Technology (2022) und Jörn Piel, ETH Zürich (2023).
HZI-Promotionspreise
Im Rahmen des Festaktes vergab der Förderverein des HZI zudem Promotionspreise an Nachwuchswissenschaftler:innen des HZI. Ausgezeichnet wurden Dr. Blondelle Matio Kemkuignou (HZI) für ihre Arbeit “Novel bioactive natural products from selected Basidiomycota and plant associated Ascomycota” und Dr. Matthias Bruhn (TWINCORE) für seine Promotion “Can B cells see the future?”.
Die Preisträger:innen werden ausgewählt aus Einreichungen aus den HZI-Standorten, dem TWINCORE in Hannover sowie der Technischen Universität Braunschweig. Sie werden jährlich vergeben und beinhalten nur Arbeiten, die im vergangenen Jahr mit der Abschlussprüfung vollendet wurden.
Die Virologin Jun. Prof. Stephanie Pfänder hat den Jürgen Wehland-Preis 2023 erhalten. Sie ist Wissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum in der Abteilung für Molekulare und Medizinische Virologie und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit sogenannten Emerging Viruses, insbesondere mit Coronaviren. Der Preis wurde ihr im feierlichen Rahmen und im Beisein der Braunschweiger Bürgermeisterin Anke Kaphammel sowie Gästen aus Wissenschaft und dem Alumni-Netzwerk des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) verliehen. Das HZI vergibt den mit 5000 Euro dotierten Jürgen Wehland-Preis bereits zum neunten Mal und ehrt damit Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich auf dem Gebiet der Infektionsforschung verdient gemacht haben. Die Preisverleihung fand im Veranstaltungszentrum HZI Forum in Braunschweig statt.
Viele medizinisch genutzte Wirkstoffe basieren auf natürlich vorkommenden Substanzen. Die Wirkstoffproduzenten wachsen jedoch oftmals nicht oder nur schlecht unter Laborbedingungen. Dies betrifft auch wirbellose Meerestiere wie Schwämme, die in enger Gemeinschaft mit Bakterien leben. Mithilfe von synthetischer Biologie können komplexe Naturstoffe auch unabhängig von den produzierenden Organismen im Labor hergestellt werden. Für seine wissenschaftliche Arbeit zu Naturstoffen aus marinen Quellen zeichnen der Förderverein des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und die Technische Universität Braunschweig Prof. Jörn Piel von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, Schweiz, mit der Inhoffen-Medaille 2023 aus. Die Verleihung fand am 8. Juni 2023 am HZI in Braunschweig statt.
Die Natur ist eine wichtige Quelle für medizinisch genutzte Wirkstoffe. Diese Wirkstoffe zu isolieren, ihre Struktur aufzuklären, sie im Labor zu synthetisieren und neue Varianten herzustellen, ist das Ziel der Naturstoffchemie. Für Forschungsleistungen in diesem Fachgebiet zeichnet der Förderverein des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) zwei Wissenschaftler:innen mit der Inhoffen-Medaille aus: Prof. Sarah Reisman, California Institute of Technology, und Prof. Christian Hertweck, Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) Jena, erhalten den Preis für die Jahre 2022 bzw. 2020. Die Verleihung fand am 9. Juni 2022 in der Aula des Hauses der Wissenschaft in Braunschweig statt.