Um die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen bewältigen zu können, brauchen wir wissenschaftliche Erkenntnisse und Lösungen, die weit über die Gesundheitsforschung hinausgehen. Deutlich geworden sind Belastungsgrenzen unserer kritischen Infrastrukturen und Abhängigkeiten bei globalen Lieferketten. Schon seit Januar 2020 erforschen Helmholtz-Wissenschaftler:innen die Ausbreitung des Coronavirus und arbeiten an Wirkstoffen und Medikamenten gegen COVID-19. Mit der Helmholtz-weiten Kampagne „Die Corona-Pandemie: Erkenntnis, Bewältigung, Prävention“ geht Helmholtz jetzt den nächsten Schritt: In interdisziplinären Verbundprojekten entwerfen Expert:innen aus allen sechs Helmholtz-Forschungsbereichen auf Basis der neuesten Erkenntnisse der Corona-Krise ganzheitliche Lösungsansätze zur Pandemiebewältigung.
Modellsystem für zukünftige Pandemien
In dem Projekt „Virologische und immunologische Determinanten der COVID-19-Pathogenese – Lehren für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien (CoViPa)“ arbeiten Forscher:innen aus sieben Helmholtz-Zentren mit Universitäten und Partnern aus der Wirtschaft zusammen. Gemeinsam wollen sie unter anderem untersuchen, was die Mechanismen des Erkrankungsprozesses sind, wie gezielte Strategien gegen das Virus aussehen könnten und welche Risiken bestehen, dass weitere Erreger den Sprung vom Tier auf den Menschen schaffen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft (DKFZ) koordiniert das Projekt. „Wir betrachten SARS-CoV-2 als Modellsystem für zukünftige Pandemien, die von ähnlichen Erregern verursacht werden. Anhand dessen wollen wir mittels immunologischer und virologischer Analysen Einsichten in die Erkrankungsmechanismen gewinnen, um präventive Maßnahmen zu entwickeln. Gleichzeitig werden wir Robotik und Hochdurchsatz-Datenanalysen nutzen, um in Zukunft bei pandemischen Ausbrüchen besser vorbereitet zu sein bzw. das Risiko einer Pandemie besser abschätzen zu können“, sagt Prof. Ralf Bartenschlager (DKFZ). Er und die Virologin Prof. Ulrike Protzer vom Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (HMGU) sind die wissenschaftlichen Sprecher von CoViPa.
HZI-Forschungsgruppen untersuchen Wirkstoffe und Immunreaktionen
Zwei der CoViPa-Teilprojekte sind am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) angesiedelt. Prof. Luka Cicin-Sain untersucht mit seiner Arbeitsgruppe „Immunalterung und Chronische Infektionen“ in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Markus Landthaler am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin die Funktion verschiedener Immunzellen und deren Kommunikation über Botenstoffe während einer SARS-CoV-2-Infektion. Zudem erproben die Forscher neue antivirale Wirkstoffe. Die Wirkstoffe blockieren ein Wirtsprotein, das die Viren zur Vermehrung benötigen, und könnten daher breit wirksam sein. Solche Wirkstoffe tragen wesentlich zur Pandemiebereitschaft bei.
Ein weiteres CoViPa-Projekt wird als Kooperation der Forschungsgruppen „Immunregulation“ von Prof. Dunja Bruder und „Angeborene Immunität und Infektion“ von Prof. Andrea Kröger durchgeführt. Gemeinsam mit Ihrer Kollegin Prof. Ana Zenclussen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig untersuchen die Wissenschaftlerinnen Mechanismen, über die pandemische Viren wie SARS-CoV-2 natürliche Barrieren der Atemwege und der Plazentaschranke überwinden. Hierbei analysieren sie unter anderem auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten von SARS-CoV-2 und weiteren Viren wie Influenza A und dem Zika-Virus, die in der Vergangenheit ebenfalls Epidemien oder, wie im Falle des Influenza Virus, auch Pandemien verursacht haben. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten künftig zur Prävention und Eindämmung von Pandemien mit neuen viralen Krankheitserregern zum Einsatz kommen.
Coronavirus-Übertragung durch die Luft
Das Verbundprojekt „Luftgetragene Übertragung des SARS-Coronavirus – von der Grundlagenforschung zu effizienten Luftreinigungssystemen (CORAERO)“ konzentriert sich auf die Erforschung und Verhinderung der Virenübertragung durch Aerosole und Tröpfchen. „Wir planen Forschung und Technologietransfer für neuartige Technologien, die SARS-CoV-2 und andere Viren in der Luft und auf Oberflächen entfernen und inaktivieren“, so die wissenschaftliche Koordinatorin Prof. Claudia Traidl-Hoffmann vom Helmholtz Zentrum München. Fachleute aus Medizin, Biologie, Physik, Chemie, Material-, Ingenieurs- und Sozialwissenschaften entwickeln gemeinsam Technologien, um die Virenausbreitung zu stoppen. In Schulen, Unternehmen, im Personennahverkehr und an öffentlichen Orten eingesetzt, könnten so in Zukunft drastische Maßnahmen wie Schulschließungen verhindert werden.
Die Helmholtz-weite Kampagne wird aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds finanziert. „Wir bündeln die ganze Stärke unserer Forschung, um Pandemien und analoge Herausforderungen wie die aktuelle Corona-Pandemie besser verstehen, überwinden und in Zukunft auch verhindern zu können“, erklärt Helmholtz-Präsident Prof. Otmar D. Wiestler. „Unser Ziel ist herauszufinden, wie wir uns als Gesellschaft für solche Ausnahmesituationen wappnen können. Das geht nur mit interdisziplinären, strategisch ausgerichteten Ansätzen, die praktische Anwendungen von Beginn an mit einbeziehen.“
Ein Kernelement der Verbundprojekte ist ein integriertes Transferkonzept: Gesellschaftliche Akteure werden von Beginn an in die Entwicklung von lösungsorientierten Fragestellungen und in die Umsetzung des Forschungsprojekts eingebunden. Ein interdisziplinär besetztes Panel mit Fachleuten aus der Virologie, den Natur- und Ingenieurswissenschaften, dem Innovationsmanagement und der Wirtschaft hat die beiden Projekte CoViPa und CORAERO aus insgesamt elf Vorschlägen zur Förderung ausgewählt.
Zur Pressemitteilung der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.