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NMR-Analyse zur Strukturbestimmung am HIPS
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Forschende entdecken ersten „Saar-Wirkstoff“

Saarvienin A zeigt vielversprechende Eigenschaften für die Bekämpfung resistenter Krankenhauskeime

Um Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen auch in Zukunft effektiv behandeln zu können, werden neue, resistenzbrechende Wirkstoffe dringend benötigt. Forschende aus Saarbrücken und Wien haben mit dem Naturstoff Saarvienin A nun einen möglichen Startpunkt für die Entwicklung solcher Medikamente gefunden. Dieses neuartige Molekül ist dazu in der Lage, Bakterien auch dann abzutöten, wenn sie bereits gegen klinisch verwendete Antibiotika resistent sind. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie International Edition.

Glykopeptid-Antibiotika (GPAs) sind von Mikroorganismen produzierte Wirkstoffe, die als letzte Behandlungsmöglichkeit bei schweren Infektionen mit multiresistenten Erregern eingesetzt werden. Sie wirken gegen ein breites Spektrum grampositiver Erreger wie den Problemkeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und werden vor allem in Krankenhäusern angewendet. Grampositive Bakterien verfügen nur über eine einzelne Zellmembran, die von einer breiten Peptidoglykan-Zellwand umgeben ist, welche den Zellen ihre Stabilität verleiht. Genau dort entfalten GPAs ihre Wirkung: Sie binden an „Lipid II“, welches für den Aufbau der Zellwand benötigt wird, und verringern so deren Stabilität. In der Folge sind die Bakterien einem erhöhten osmotischen Stress ausgesetzt und sterben ab. GPA-resistente Bakterien ändern den Aufbau von Lipid II leicht ab, sodass die entsprechenden Wirkstoffe dieses nicht mehr binden können. Forschende aus der HIPS-Abteilung „Mikrobielle Naturstoffe“ haben nun gemeinsam mit Partnern der Universität Wien das neuartige GPA Saarvienin A entdeckt, das dazu in der Lage ist, genau diesen Resistenzmechanismus zu umgehen. Das HIPS ist ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes.

Saarvienin A gehört zu einer neu entdeckten Familie an GPAs und wurde aus dem Bodenbakterium Amycolatopsis sp. YIM10 isoliert, welches ursprünglich aus einer chinesischen Mine für seltene Erden stammt. Bakterien dieser Gattung zählen zu den bekanntesten Vertretern für die Produktion von Antibiotika, darunter auch andere GPAs wie das klinisch eingesetzte Vancomycin. Zu Beginn der Studie konnten die Forschenden zunächst beobachten, dass Saarvienin A-haltige Extrakte von YIM10 das Wachstum grampositiver Testkeime stark einschränken. Hierbei stellt der Wirkstoff, dessen Name sich aus den Wirkungsstätten des Forschungsteams, Saarbrücken und Wien, zusammensetzt, sogar bereits auf dem Markt verfügbare GPAs in den Schatten. Im Vergleich zu Vancomycin zeigt Saarvienin A eine bis zu achtfach höhere antimikrobielle Wirkung gegen MRSA.

Nachfolgend galt es herauszufinden, wie genau Saarvienin A chemisch aufgebaut ist. Diese Aufgabe war alles andere als einfach: Das Kohlenstoffgerüst von Saarvienin A besteht aus insgesamt 73 Kohlenstoffatomen, die auf unterschiedlichste Weise miteinander verknüpft sind. „Das Molekül besteht aus fünf (Amino-)Zuckereinheiten, die an ein halogeniertes, zyklisches Peptid gekoppelt sind. Diese komplexe chemische Struktur mittels Kernspinresonanzspektroskopie und anderen analytischen Methoden aufzuklären, war eine wirklich spannende Herausforderung“, sagt Amninder Kaur, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin aus der Abteilung „Mikrobielle Naturstoffe“.

Neben seiner ausgezeichneten Wirksamkeit zeichnet sich Saarvienin A außerdem dadurch aus, dass es dazu in der Lage ist, auch Keime abzutöten, die bereits gegen andere GPAs resistent sind. Dieses Verhalten spricht dafür, dass Saarvienin A über einen anderen Wirkmechanismus verfügt als andere Vertreter dieser Antibiotikaklasse. „Wenn ein neuer Wirkstoff über einen bislang ungenutzten Wirkmechanismus verfügt, haben wir die Chance, daraus ein resistenzbrechendes Medikament zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund sind die Identifizierung und strukturelle Aufklärung von Saarvienin A ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg hin zu einem möglichen neuen Wirkstoff, mit dem wir die globale Resistenzproblematik adressieren können“, sagt Rolf Müller, wissenschaftlicher Direktor des HIPS, Leiter der Abteilung „Mikrobielle Naturstoffe“ und Professor für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität des Saarlandes. In folgenden Studien sollen der genaue Wirkmechanismus sowie die Biosynthese von Saarvienin A aufgeklärt und Wege zur chemischen Verbesserung dieser neu entdeckten Wirkstoffklasse etabliert werden.

Originalpublikation

Amninder Kaur, Jaime Felipe Guerrero-Garzón, Sari Rasheed et al. Saarvienin A—A Novel Glycopeptide with Potent Activity against Drug-Resistant Bacteria. Angew. Chem. Int. Ed. 2025. DOI: 10.1002/anie.202425588

Yannic_Nonnenmacher

Pressekontakt

Dr. Yannic Nonnenmacher
Referent Wissenschaftliche Strategie