Die zunehmende Resistenz krankmachender Keime gegen bekannte Antibiotika ist ein drängendes Problem – immer häufiger wird von multiresistenten Erregern berichtet, gegen die selbst Reserveantibiotika wirkungslos sind. Am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des HZI in Kooperation mit der Universität des Saarlandes, nutzen die Wissenschaftler Myxobakterien als Quelle neuer Wirkstoffe. Diese im Boden lebenden Bakterien haben gewissermaßen eine Tradition am HZI, waren es doch die beiden Braunschweiger Wissenschaftler Hans Reichenbach und Gerhard Höfle, die durch ihre jahrzehntelange Arbeit den Grundstein gelegt haben für eine umfangreiche weltweite Sammlung von Myxobakterien, die bis heute als ergiebige Quelle von neuen Wirkstoffen mit interessanten chemischen Strukturen und oft äußerst potenten biologischen Aktivitäten genutzt wird. Inzwischen ist diese mikrobielle Schatzkiste auf mehr als 11.000 myxobakterielle Stämme angewachsen, und in der HIPS-Abteilung „Mikrobielle Naturstoffe“ wird unter Leitung von Prof. Rolf Müller mit modernsten genetischen und massenspektrometrischen Methoden daran gearbeitet, den Myxobakterien möglichst viele ihrer chemischen Geheimnisse zu entlocken. Schließlich verbindet sich mit jeder neu entdeckten Substanz die Hoffnung, ein Molekül gefunden zu haben, das sich vielleicht für die Weiterentwicklung zu einem pharmazeutischen Wirkstoff eignet.
Sample‘ das Saarland – neue Wirkstoffe aus dem Boden
Wer das HIPS auf dem Saarbrücker Universitätscampus besucht, sieht lange vor dem neuen Laborgebäude am Waldrand ein Plakat: „Sample‘ das Saarland – Mikrobielle Schätze aus dem Boden“ steht dort geschrieben und „Hilf‘ den Wissenschaftlern beim Probensammeln“. Sind die heutigen Wissenschaftler es etwa leid, aufregende Expeditionen in ferne Länder zu unternehmen, um von den unwahrscheinlichsten Winkeln rund um den Globus Bodenproben zurück ins Labor zu bringen? Dr. Ronald Garcia, Mikrobiologe am HIPS, erklärt dazu: „Zwar haben wir mit mehreren Partnerländern Verträge über die Probennahme. Aber leider sind die rechtlichen Hürden dafür aufgrund des Nagoya-Protokolls enorm hoch. Die lokale Probennahme hingegen ist unkompliziert, und wir sind davon überzeugt, dass eigentlich jedes Habitat eine mikrobielle Gemeinschaft mit erheblicher Diversität besitzt.“
Die Idee, eine saarlandweite Probennahme-Kampagne mit Bürgerbeteiligung als Citizen Science-Projekt durchzuführen, ist eher nebenbei entstanden – bei der Suche nach Aktivitäten für den Tag der offenen Tür. Dann aber haben die HIPS-Forscher Probensammel-Kits angefertigt, mit blauen Plastiklöffeln in sterilen Plastikbeutelchen als wichtigstem Bestandteil, und aufgedruckten Codes, über die die Proben auf der Webseite registriert werden können. Zum Kit gehören unter anderem noch Rückumschlag, Informationsflyer über die Probennahme und eine Minilupe. Bislang hat das HIPS über 600 dieser Probensets ausgegeben, Interessierte können sie auch auf der Webseite anfordern (http://hips.saarland/sample). Dort zeigt eine Karte in Echtzeit, wo überall bereits Proben entnommen wurden. Als die ersten Rückumschläge mit Bodenproben im Institutsbriefkasten lagen, war die Freude groß. „Da war uns klar, dass das Projekt tatsächlich funktionieren kann“, sagt Garcia. Gegenüber professionell entnommenen Proben haben die Amateur-Proben keine wissenschaftlichen Nachteile. „Der Schlüssel zum Erfolg sind die Isolierungsmethoden“, sagt Garcia. „Wir verwenden eine hochselektive Vorgehensweise, um Naturstoff-produzierende Myxobakterien zu isolieren, und die sind ziemlich gut darin, sich gegen andere Bakterien zur Wehr zu setzen. Die eine oder andere Kontamination mit gewöhnlichen Keimen beeinträchtigt unsere Erfolgsaussichten daher nicht.“ Mittlerweile geht „Sample‘ das Saarland“ bereits ins zweite Jahr, und mit der Bürgerbeteiligung sind die HIPS-Forscher äußerst zufrieden. Einige Bürger bringen sogar ihre eigenen Ideen ein – schicken E-Mails und sogar handgeschriebene Briefe, in denen sie ganz besondere Stellen wie eine mit Wald überwachsene Schlackenhalde oder eine seit Jahrzehnten abgesperrte Bergbauanlage als Probensammelgebiet anbieten. Andere schlagen sogar vor, Bodenproben auf eine bestimmte Weise zu behandeln, um die Erfolgschancen für die Entdeckung eines ungewöhnlichen Bakteriums zu erhöhen.
Inzwischen konnten Ronald Garcia und seine Kollegen bereits über 200 neue Myxobakterien aus den Saarland-Bodenproben isolieren, darunter auch Stämme, die aufgrund ihrer geringen Verwandtschaft zu den bekannten Spezies einem neuen Genus zuzuordnen sind. „Noch ein paar hundert mehr, und wir können mit statistischen Auswertungen beginnen, um in den Naturstoffen der Saarland-Bakterien mittels Massenspektrometrie gezielt nach neuartigen Wirkstoffkandidaten zu suchen“, sagt Chantal Bader, Doktorandin am HIPS. „Eine hohe Probenzahl ist aber nicht alles – es kommt auch darauf an, neue und seltene taxonomische Gruppen der Myxobakterien zu finden. Bei diesen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie ein Wirkstoffmolekül mit einem noch unbekannten chemischen Grundgerüst produzieren.“
Immer öfter erreichen das HIPS auch Anfragen aus ganz Deutschland, ob Interesse an Bodenproben von außerhalb des Saarlandes bestehe. Die Antwort ist ein klares „Ja“, denn die Wissenschaftler arbeiten bereits daran, das Citizen Science-Projekt zu einer landesweiten Kampagne weiterzuentwickeln. „Der finanzielle Aufwand dafür ist erfreulich gering, aber wir müssen unsere Infrastruktur noch verfeinern. Im Moment arbeiten wir beispielsweise an einer mobilen Sample-App, um die Probennahme mit exakten Geokoordinaten zu verbessern“, sagt Garcia und wagt einen Blick in die Zukunft: „Vielleicht wird das Einschicken von Bodenproben einmal genauso normal wie die Blutspende.“
Autor: Daniel Krug
Veröffentlichung: November 2018