Aktuell testet die PK/PD-Einheit eine Substanz, die gegen das neue Coronavirus SARS (Schweres akutes respiratorisches Syndrom)-CoV-2 wirken könnte. Die Ausbreitung der durch das Virus ausgelösten hochinfektiösen Atemwegserkrankung COVID-19 hat sich zu einer Pandemie entwickelt. Mit Hochdruck wird nach Wirkstoffen gegen SARS-CoV-2 geforscht.
„Der Anruf kam Anfang Februar“, sagt Dr. Katharina Rox von der Abteilung Chemische Biologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. „Ob wir kurzfristig Testkapazitäten für einen vielversprechenden Wirkstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 freimachen könnten? Konnten wir – eine Woche später starteten wir unsere präklinischen Testreihen.“ Die 31-jährige Apothekerin etablierte die PK/PD-Einheit im Jahr 2015 auf Initiative des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Potenzielle Wirkstoffkandidaten gegen bakterielle oder virale Krankheitserreger werden hier in speziellen frühen Testverfahren auf Herz und Nieren geprüft. Dabei werden für medizinische Wirkstoffe entscheidende Fragen zur Pharmakokinetik – Wie verteilt sich der Wirkstoff im Körper? Wie stabil ist er? – und Pharmakodynamik – Wie gut wirkt er? Welche Dosis ist erforderlich? – beantwortet. „Wir unterstützen Forschergruppen dabei, ihre Wirkstoffkandidaten in der frühen präklinischen Phase eingehend zu testen und so zu optimieren, dass sie beste Voraussetzungen haben, sich in der weiteren Entwicklung hin zu klinischen Studien zu bewähren“, sagt Rox.
Die PK/PD-Einheit des DZIF-Forschungsbereichs Neue Antibiotika unter Koordination von Prof. Rolf Müller (HZI-Standort Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland, HIPS) ist den Abteilungen Chemische Biologie (Prof. Mark Brönstrup) und Infektionsimmunologie (Prof. Eva Medina) des HZI zugeordnet. Sie arbeitet eng mit Kooperationspartnern aus dem DZIF und weiteren Forschungseinrichtungen und Hochschulen zusammen. Zudem ist sie international vernetzt, etwa mit dem Konsortium SCORE (Swift Coronavirus Therapeutics Response), einem Zusammenschluss europäischer Forschungsgruppen, der sich für eine schnelle Entwicklung von Therapeutika gegen SARS-CoV-2 einsetzt. In ihren Testverfahren Wirkstoffe gegen Coronaviren zu prüfen, ist für Rox und ihr Team nicht neu. „Seit etwa zwei Jahren arbeiten wir mit dem Team um Prof. Rolf Hilgenfeld vom Institut für Biochemie der Universität zu Lübeck zusammen und testen Substanzen, die möglichst gegen verschiedene Arten von Coronaviren wirken sollen“, sagt Rox. „Die zurückliegenden SARS- und MERS-Epidemien haben gezeigt, dass Coronaviren durchaus problematisch werden können. Ziel war es, für den Fall eines Ausbruchs mit einem neuen und gefährlichen Coronavirus ein Breitspektrum-Anticoronamittel zur Hand zu haben. Doch SARS-CoV-2 war leider schneller.“
Der Anruf Anfang Februar kam von Rolf Hilgenfeld. Gemeinsam mit chinesischen Kooperationspartnern hatte sein Team im Januar, während sich die COVID-19-Epidemie in Wuhan (China) ausbreitete, in nur wenigen Tagen einen Wirkstoffkandidaten namens „13b“ entwickelt. Katharina Rox sollte ihn in ihren präklinischen Testverfahren genauer unter die Lupe nehmen. „In unseren engmaschigen Tests klopfen wir erste wichtige Parameter ab, die für die Sicherheit und Wirksamkeit im Organismus von besonderer Bedeutung sind“, sagt Rox. „Dafür durchlaufen die Wirkstoffkandidaten ein dreistufiges Testverfahren.“ Zunächst werden verschiedene in vitro-Untersuchungen durchgeführt, um schon möglichst viel über Eigenschaften und Verhalten des Wirkstoffs im Körper in Erfahrung zu bringen: Hat die Substanz toxische Eigenschaften? Wie verhält sie sich im Blutplasma? Hält sie den unterschiedlichen pH-Werten des Magen-Darm-Trakts stand? Wie schnell wird sie verstoffwechselt? Anschließend folgen in vivo-Untersuchungen an gesunden Mäusen. „Hier geht es darum herauszufinden, wie sich der Wirkstoff im Organismus verteilt. Ob er dort, wo er benötigt wird – etwa in einem bestimmten Gewebe oder Organ – überhaupt ankommt, wie er dafür am besten appliziert wird, und welche Dosis notwendig ist, um einen bestimmten Wirkstoffspiegel zu erreichen“, erklärt Rox. Erst wenn die Ergebnisse aus den beiden ersten Teststufen zufriedenstellend sind, wird die Wirksubstanz in sogenannten Effektivitätstests an mit dem entsprechenden Erreger infizierten Mäusen auf seine Wirksamkeit getestet und nach der optimalen Dosierung geforscht. „Ergänzend zu den Labortests arbeiten wir auch vermehrt mit Computermodellen, um bessere Vorhersagen treffen zu können und die Anzahl der Tierversuche so niedrig wie möglich zu halten“, sagt Rox.
Und was ergaben die Testreihen der PK/PD-Einheit mit der Substanz 13b? „Unsere präklinischen Tests sind noch nicht vollständig abgeschlossen, doch die bisherigen Ergebnisse sind durchaus vielversprechend“, sagt Rox. „Die Substanz zeigt sich im Plasma stabil und wird durch Stoffwechselprozesse nicht zu schnell abgebaut. Langanhaltende Wirkstoffkonzentrationen konnten wir in den Mäusen durch Inhalation oder Injektion des Wirkstoffs unter die Haut erzielen. Erfreulicherweise reichert sich 13b auch gut in der Lunge an – wo es ja insbesondere zur Verfügung stehen sollte, weil die Virusausbreitung dort schwere Entzündungen verursacht.“ Die Ergebnisse der PK/PD-Einheit sind Teil einer gemeinsamen Studie der Universität zu Lübeck, des HZI, des DZIF und weiteren Kooperationspartnern, die kürzlich im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde. Katharina Rox leitet zurzeit ein vierköpfiges Team – Tendenz steigend.