Der Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Impfstoff, der seit fast einem Jahrhundert zum Schutz gegen Tuberkulose eingesetzt wird, fasziniert Wissenschaftler:innen seit langem durch seine Fähigkeit, einen unspezifischen Schutz gegen andere Infektionen zu vermitteln. Eine neue Studie unter der Leitung des Zentrums für Individualisierte Infektionsmedizin (CiiM) in Hannover und des Radboud University Medical Center in Nijmegen (Niederlande) hat nun eine mögliche molekulare Grundlage dieser "trainierten Immunität" kartiert und gezeigt, dass die BCG-Impfung stabile epigenetische Veränderungen in Immunzellen hervorruft, die deren Reaktionsfähigkeit verbessern. Das CiiM ist eine gemeinsame Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Während einer dreimonatigen Nachbeobachtung von 284 gesunden, erwachsenen Freiwilligen erstellte das Team ein Profil der DNA-Methylierung - einer chemischen Markierung, die die Genaktivität moduliert, ohne den zugrunde liegenden genetischen Code zu verändern - in wichtigen Immunzellarten. Sie fanden heraus, dass BCG eine ausgeprägte Methylierungssignatur hinterlässt, die weit über den Zeitraum der ersten Impfung hinaus bestehen bleibt. Diese Modifikationen stimmen die Expression von Genen ab, die an der Erkennung von Krankheitserregern, Entzündungssignalen und Stoffwechselprozessen beteiligt sind, und bereiten das Immunsystem effektiv auf schnellere und stärkere Reaktionen auf nachfolgende Infektionen vor.
Bemerkenswerterweise konnte die DNA-Methylierungslandschaft der einzelnen Personen das Ausmaß ihrer trainierten Immunreaktion vorhersagen. "Unsere Daten deuten darauf hin, dass der einzigartige epigenetische Fingerabdruck eines jeden Menschen bestimmt, wie stark seine Immunzellen nach der BCG-Impfung 'lernen'", erklärt der Erstautor Prof. Cheng-Jian Xu und Leiter der Forschungsgruppe „Klinische Bioinformatik“ am CiiM. Diese Erkenntnis öffnet die Tür zu maßgeschneiderten Impfstrategien, bei denen ein epigenetisches Profil vor der Impfung Aufschluss über Dosis- oder Zeitplananpassungen geben könnte, um die Wirksamkeit für jeden Empfänger zu maximieren.
Neben der epigenetischen Umprogrammierung entdeckten die Forscher:innen auch einen unerwarteten hormonellen Zusammenhang: In Labortests dämpfte Kisspeptin - ein Peptidhormon, das traditionell für die Auslösung der Pubertät bekannt ist - die Aktivierung des angeborenen Immunsystems. Diese Wechselwirkung deutet auf umfassendere regulatorische Netzwerke hin, über die der Körper Wachstum, Fortpflanzung und Verteidigung ausbalanciert, und eröffnet die Möglichkeit, dass der hormonelle Status die Ergebnisse von Impfungen beeinflussen könnte.
Die Studie zeigt auch bemerkenswerte geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Männer und Frauen wiesen als Reaktion auf BCG unterschiedliche Muster der Methylierungsveränderung und der Aktivierung von Immungenen auf. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, das Geschlecht als biologische Variable bei der Erprobung und Entwicklung von Impfstoffen zu berücksichtigen. Maßgeschneiderte Ansätze, die diesen Unterschieden Rechnung tragen, könnten den Schutz in verschiedenen Bevölkerungsgruppen verbessern.
Unter Verwendung modernster systembiologischer Ansätze zeigte die Studie auch, dass DNA-Methylierungsveränderungen die Auswirkungen genetischer Varianten auf die Immunantwort vermitteln und damit eine mechanistische Brücke zwischen Genetik, Epigenetik und Immunität schlagen. Diese Erkenntnisse könnten in künftige Impfstoffentwicklungsstrategien einfließen - insbesondere in solche, die auf einen Breitspektrumschutz abzielen oder auf individuelle Immunprofile zugeschnitten sind.