Die Tierärztin Dr. Fee Zimmermann erhebt Langzeitdaten zur Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt in den afrikanischen Tropen und vor ihrer Haustür – in Mecklenburg-Vorpommern. Dort leitet sie eine Forschungsgruppe am Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald. Im Interview spricht sie über die Bedeutung der Tropen für zukünftige Krankheitsausbrüche und über tierische Helfer bei der Datengewinnung.
Frau Dr. Zimmermann, Sie leiten die One Health Surveillance Core Unit am HIOH. Klingt kompliziert, was genau ist das und woran arbeitet Ihre Gruppe?
In der One Health-Forschung geht es darum, die Gesundheit von Menschen, Tieren und der Umwelt immer zusammen zu betrachten und dass man sie auch gar nicht voneinander trennen kann. Gerade wenn man wie wir zu antimikrobiellen Resistenzen oder zu Zoonosen forscht, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen, muss man alle Seiten berücksichtigen. Die Core Unit zielt darauf ab, in verschiedenen Indikator-Regionen langfristige One Health-Studien aufzubauen und umfassende Langzeitdaten zu sammeln, die dann als Grundlage für die verschiedenen Forschungsabteilungen am HIOH und auch für unsere Partnereinrichtungen dienen. Was uns dabei auch besonders wichtig ist, ist der verantwortungsvolle Einsatz von Ressourcen. Ganz oft macht es Sinn, verschiedene Analysen mit der gleichen Probe durchzuführen oder auch ein und dieselbe Infrastruktur für verschiedene Analysen zu nutzen, damit nicht jeder alles doppelt macht.
Sie haben Indikator-Regionen erwähnt. Wo liegen die genau und wie sieht Ihre Arbeit dort aus?
Unsere Untersuchungsgebiete sind relativ kleine, sehr genau definierte Gegenden. Zum einen in den afrikanischen Tropen, aber auch hier in Deutschland. Wir schauen uns an, welche Krankheitserreger zirkulieren und was dort auch wirklich zu Krankheiten bei Menschen führt. Außerdem haben wir an unseren beiden Einsatzorten in den Tropen – dem Taï Nationalpark in der Republik Côte d‘Ivoire und dem Dzanga-Sangha-Schutzgebiet in der Zentralafrikanischen Republik - schon seit langer Zeit ein Wildtier-Monitoring implementiert. Dabei führen wir Autopsien an Wildtieren durch, die tot im Wald gefunden werden, wodurch wir eine Idee davon haben, welche Krankheiten bei den Wildtieren relevant sind.
Was wir gerade noch aufbauen, sind Kohorten-Studien an unseren beiden Field Sites in Afrika, wo wir regelmäßig Gesundheitsdaten der Bevölkerung sammeln werden, uns aber auch anschauen, wie es um die Gesundheit der Haus- und Nutztiere steht und welche Krankheitserreger in den Häusern vorkommen. Wir erfassen auch die Nagetiere, Fledermäuse und Mücken und erheben Klima- und Biodiversitätsdaten. Alles gemeinsam und an ein und demselben Ort, sodass man die Zusammenhänge besser verstehen kann. Gerade die Tropen sind eine sehr relevante Gegend für uns, weil sie eine hohe Biodiversität aufweisen. Durch die Abholzung von Wäldern und das Vordringen von Menschen in entlegene Gebiete können hier neue Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden und – in Kombination mit der leider schlechten Gesundheitsinfrastruktur – zu Ausbrüchen führen.
Wie genau sehen diese Kohorten-Studien aus?
In Afrika arbeiten wir in beiden Ländern mit acht bis neun Dörfern zusammen, die direkt an den Grenzen des Nationalparks liegen. Wir möchten für die Kohorte jeweils etwa 2000 Menschen rekrutieren und alle zwei bis drei Jahre verschiedene klinische Untersuchungen durchführen sowie Fragebögen austeilen, um einen Eindruck zu bekommen, wie es um die Gesundheit in der Bevölkerung bestellt ist. Das Studiendesign hierfür entwickeln wir gerade gemeinsam mit der Abteilung Epidemiologie des HZI. Da es sich um echte One Health-Kohorten handeln soll, werden dann zeitgleich die schon erwähnten umfangreichen Daten erhoben.
Wie groß ist denn die Bereitschaft der Bevölkerung, dabei mitzumachen?
In beiden Ländern waren die Leute sehr interessiert und ganz offen. Wir kommen ja eher aus der Wildtierforschung, und die Bewohner finden es schön, dass wir jetzt auch mal etwas in den Dörfern und für die Bevölkerung vor Ort machen. In Deutschland besteht eher eine Kohorten-Müdigkeit, was wir für Afrika absolut nicht bestätigen können.
Wenn Sie aus Ihren Erkenntnissen Verhaltensmaßnahmen ableiten, die die Bevölkerung betreffen: Wie reagieren die Menschen darauf?
Seit dem großen Ebola-Ausbruch 2014/15 in Afrika sind das Bewusstsein und Interesse für solche Empfehlungen wirklich groß. In Zentralafrika arbeiten wir zum Beispiel auch mit dem lokalen Radiosender zusammen, um unsere Ergebnisse zu verbreiten. Ein Fokus am HIOH liegt auf der Forschung zur Entstehung von Infektionskrankheiten. Da wir einen langfristigen Ansatz verfolgen, ist das Schöne, dass wir die Effekte von natürlichen und menschengemachten Interventionen sehen, zum Beispiel vom Klimawandel. Wir sehen, wie sich die Biodiversität ändert und welchen Effekt das auf die menschliche Gesundheit hat. Und wir können auch Effekte von Maßnahmen gegen den Klimawandel sehen, zum Beispiel von Wiederaufforstung.
Haben Sie ein Beispiel für einen Effekt des Klimawandels?
Mein Kollege Lorenzo Lagostina schaut sich schon länger jedes Jahr die Zusammensetzung der Nagetier-Populationen von den Dörfern bis in den Wald an und sieht zum Beispiel ganz deutlich, dass die Biodiversität über die letzten Jahre abgenommen hat. Es verbreiten sich vor allem Generalisten, also Arten, die in allen Lebensräumen klarkommen. Zum Beispiel kann sich die Zusammensetzung der Fledermausarten ändern, was dann wiederum zu einer Veränderung bei den vorhandenen Mücken und damit der Krankheitsexposition führen kann.
Wie überwachen Sie die Artenvielfalt? Das ist doch gerade im Regenwald bestimmt sehr schwierig.
Die Fledermäuse fangen wir ganz klassisch mit Netzen im Wald und bestimmen die Arten. Wir arbeiten aber auch mit Umwelt-DNA, die mein Kollege Jan Gogarten über Abstriche von Blättern oder über Aasfliegen sammelt. Anhand von Genomanalysen schaut er, welche Tiere in dem Wald vorkommen. Zentral für uns sind Menschenaffen und Fledermäuse, gerade die Menschenaffen sind ja so nah mit uns verwandt. Im Taï Nationalpark haben wir zum Beispiel vor Jahren einen neuartigen Milzbranderreger entdeckt, Bacillus cereus biovar anthracis. Er führt dort zu 40 Prozent der Todesfälle bei Wildtieren, vor allem auch bei den Schimpansen. Eine Studie hat zwar gezeigt, dass es eine Seroprävalenz in der Bevölkerung gibt, die Menschen also Antikörper gegen den Erreger haben und demnach mit ihm in Kontakt gekommen sein müssen. Wir wissen aber immer noch nicht, ob das auch zu Krankheitsfällen bei den Menschen führt, und hoffen, diesen Aspekt bald klären zu können.
Gehen wir noch in eine andere Region. Wie sehen die Untersuchungen aus, die in Mecklenburg-Vorpommern laufen?
Momentan arbeiten wir vor Ort mit der Universität Greifswald, der Universitätsmedizin Greifswald und mit dem Friedrich-Loeffler-Institut. Wir haben sechs Aufbauprojekte gemeinsam mit verschiedenen Gründungspartnern, um das Studiendesign für die One Health Surveillance aufzusetzen. In einem dieser Projekte möchten wir zum Beispiel das Wildtier-Monitoring in Vorpommern verbessern und standardisieren. Eine Wildtierprobe wird meistens in Kooperation mit Jägern auf Parasiten getestet, was wir aber auf Bakterien, Viren und antimikrobielle Resistenzen ausweiten wollen. In einem gemeinsamen Projekt mit der Abteilung Epidemiologie des HZI schauen wir uns an, welche Kohorten-Studien es in Nordostdeutschland schon gibt und wie wir diese noch ausbauen können, um sie zu wirklichen One Health-Kohorten zu machen. Es gibt zum Beispiel schon die SHIP-Studie (kurz für „Study of Health in Pomerania“), in deren One Health-Modul die Studienteilnehmenden gefragt werden, ob sie Haustiere haben. Wenn ja, werden auch ihre Hunde, Katzen und Hühner untersucht.
Am HIOH läuft mit CiFly auch ein Bürger:innenprojekt. Welches Ziel hat es?
Unser CiFly-Team arbeitet mit Schulen zusammen. Die Schulkinder entwickeln ein eigenes Studienprotokoll und fangen Aasfliegen, mit denen sie die lokale Biodiversität bestimmen. Aasfliegen sind sehr gute DNA-Sammler, da sie sich auf Kot und Kadaver setzen. So kann man durch die Untersuchung von Aasfliegen einen Überblick über die Säugetier-Biodiversität und auch über kursierende Antibiotikaresistenzen erhalten. Die Kinder haben sich zum Beispiel überlegt, dass sie zwischen ihrem Garten und der Innenstadt vergleichen oder gucken wollen, ob sie beim Klärwerk mehr Resistenzen finden. Sie hatten wirklich sehr schöne Ideen. Und gerade hier die Kinder an Wissenschaft heranzuführen und sie ein stückweit zu begeistern, ist für uns der wichtigste Effekt – denn auch das HIOH braucht Nachwuchs.
Interview: Dr. Benjamin Blank
Dieser Text erschien im HZI-Magazin InFact in der Ausgabe Herbst 2024.
Um uns auf mögliche zukünftige Pandemien vorzubereiten, gucken Forscher:innen am Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) nicht nur auf die Krankheitserreger, sondern auch wie Veränderungen der Umwelt, der Natur – auch von uns hervorgerufen – beeinflussen, wie sich Krankheitserreger in der Vergangenheit entwickelt haben. Sébastien Calvignac-Spencer leitet die HIOH-Arbeitsgruppe „Evolution von Krankheitserregern“ und untersucht anhand genetischer Veränderungen rückwirkend, was diese Veränderung verursacht haben könnte. Im HZI-Podcast InFact erklärt er, wie sich daraus wertvolle Schlüsse ziehen lassen, wie sich heutige Krankheitserreger weiterentwickeln könnten.
Der aktuelle Ausbruch des Mpox-Virus hat seinen Ursprung in Zentralafrika. Ein erster Fall ist nun in Europa entdeckt worden. Die WHO hat die höchste Alarmstufe ausgerufen. Fabian Leendertz, Leiter des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH), ordnet die Ereignisse im Interview mit Helmholtz ein.
Fabian Leendertz, Direktor des HIOH in Greifswald, und sein Team arbeiten seit mehr als einem Jahrzehnt an der südlichsten Spitze der Zentralafrikanischen Republik, in den Dzanga- Sangha-Schutzgebieten. Im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit dem WWF der Zentralafrikanischen Republik unterstützt das HIOH die Überwachung des Gesundheitszustands von Wildtieren in diesen Schutzgebieten. Den Schwerpunkt bilden die Flachlandgorillas. Im Laufe der Jahre wurden die Aktivitäten erweitert, um auch die Berührungspunkte zwischen Mensch, Tier und Umwelt in diesem außergewöhnlichen Ökosystem besser charakterisieren zu können.