Ein Gen, viele Rollen
Um herauszufinden, welche der fast 6000 Gene von P. aeruginosa für Variabilität anfällig sind, analysierten die Forscher zahlreiche Genexpressionsprofile von Bakterien, die unter exakt gleichen Bedingungen gezüchtet wurden. Dabei zeigte sich, dass das Gen glpD, das ein Enzym für den Glycerolstoffwechsel kodiert, zu den Genen mit der größten Variabilität in seiner Expression gehört. Dies ist überraschend, da in einer reinen Bakterienkultur jedes Bakterium eine exakte Kopie des anderen sein sollte.
Mithilfe der Gentechnik konnten die Forschenden ein ON/OFF-Verhalten dieses Gens in einzelnen Bakterien der Population nachweisen: Einige wenige Zellen exprimieren dieses Gen in sehr hoher Konzentration, während die meisten dies nicht tun. Die Forschenden fanden heraus, dass diese Unterschiede durch epigenetische Schaltmechanismen entstehen – und eine Form der Erinnerung erzeugen, die über mehrere Generationen hinweg vererbt wird.
Strategische Arbeitsteilung
Die Variabilität der glpD-Expression in der gesamten Population ist dabei entscheidend für klinisch relevantes Verhalten. Bakterien mit aktiver glpD-Expression weisen beispielsweise eine erhöhte Toxinproduktion und Beweglichkeit auf, aber auch die individuelle Fähigkeit des Pathogens, mit Immunzellen zu interagieren oder diese abzutöten ist stärker ausgeprägt. Bakterien mit reduzierter glpD-Expression hingegen verhielten sich zurückhaltender. Diese Mischung könnte es dem Erreger ermöglichen, gleichzeitig anzugreifen und sich vor dem Immunsystem zu verstecken – ein potenziell entscheidender Vorteil beim Infektionsstart. Somit wird das Überleben für einen Teil der Population selbst im Falle einer plötzlichen Abwehr sichergestellt.
„Diese Vielfalt innerhalb einer klonalen Population ist keine Schwäche, sondern eine kluge Überlebensstrategie“, sagt Dr. Nicolas Oswaldo Trinler, Wissenschaftler in Häußlers Abteilung. „Sie erlaubt es dem Erreger, Individuen mit speziellen Aufgaben in der Population zu generieren, die zu einer erfolgreichen Infektion und dem bakteriellen Überleben im Wirt führen.“
Gedächtnis mit Folgen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kombinierten modernste Einzelzellanalysen, Live-Mikroskopie und mathematische Modellierung. Ihre Ergebnisse zeigen: Diese innerbakterielle Vielfalt kann sich schon aus kleinsten Zahlen an Bakterien entwickeln – etwa dann, wenn wenige Erreger durch eine Wunde gelangen oder eingeatmet werden.
Die Studie gibt neue Einblicke, warum Infektionen mit P. aeruginosa langfristig so schwer zu behandeln sind. Klassische Antibiotika und das Immunsystem sind möglicherweise nicht in der Lage, alle funktionellen Subtypen innerhalb einer Population zu treffen. Dies könnte neue Ansatzpunkte für therapeutische Entwicklungen bieten. Künftig könnten epigenetische Mechanismen, wie der hier entdeckte, gezielt Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente bieten, die spezifisch darauf zugeschnitten sind, die Anpassungsfähigkeit des Erregers an das Leben im Patienten zu begrenzen.