Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Escherichia coli-Zelle (rot), die von Bakteriophagen (grün) infiziert wird.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Escherichia coli-Zelle (rot), die von Bakteriophagen (grün) infiziert wird.
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Weltantibiotikawoche: Die Suche nach neuen Waffen gegen bakterielle Infektionen

Forschende am HZI, HIRI und HIOH erkunden molekulare Mechanismen und das therapeutische Potenzial von Bakteriophagen

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts zählen Antibiotika zu den größten Erfolgen der Medizin. Sie retten jedes Jahr Millionen Leben, verhindern Komplikationen bei Operationen und machen viele Therapien überhaupt erst möglich. Doch ihr Erfolg hat eine Kehrseite: Immer mehr Bakterien entwickeln Strategien, um den Angriffen dieser Medikamente zu entgehen. Weltweit breiten sich resistente Keime aus, gegen die kaum noch Mittel helfen. Mit der Weltantibiotikawoche erinnert die Weltgesundheitsorganisation jedes Jahr vom 18. bis 24. November daran, wie wichtig der sorgfältige Umgang mit Antibiotika ist und wie dringend neue Ansätze gebraucht werden, um Infektionen auch in Zukunft wirksam zu bekämpfen. Im Forschungsschwerpunkt „Neue Antiinfektiva“ des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) entwickeln fast 20 Forschungsgruppen neue Wirkstoffe gegen Infektionskrankheiten.

Eine weitere Strategie gegen bakterielle Infektionen erkunden Wissenschaftler:innen am HZI und seinen Standorten in Würzburg und Greifswald: Sie erforschen das therapeutische Potenzial von Bakteriophagen, kurz Phagen genannt. Dies sind Viren von Mikroben. Sie erkennen präzise ihre Wirtszellen, injizieren ihr Erbgut und vermehren sich darin, bis die Bakterienzelle platzt und neue Phagen freisetzt. Für Menschen sind Phagen harmlos, da sie sich in menschlichen Zellen nicht vermehren. In Gewässern, im Boden und sogar in unserem Darm kommen sie in unvorstellbarer Zahl vor und vermehren sich in den dort lebenden Bakterien. Seit vielen Millionen Jahren halten sie bakterielle Populationen im Gleichgewicht. Dieses uralte biologische Wechselspiel erforschen Wissenschaftler:innen am HZI sowie am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und am Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) gezielt, um daraus neue Therapien zu entwickeln. Das HIRI und das HIOH sind Standorte des HZI in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität (JMU) in Würzburg bzw. Greifswalder Partnereinrichtungen.

Bakteriophagen verfügen über ein riesiges Repertoire an Funktionen, um die Kontrolle über ihr Wirtsbakterium zu übernehmen. „Wir müssen davon wegkommen, Bakteriophagen und ihre Wirksamkeit gegen Bakterien nur unter Modellbedingungen zu beurteilen“, sagt Dr. Milan Gerovac, Leiter der Nachwuchsgruppe „Komplexe in Phageninfizierten Zellen“ im MICROSTAR-Programm des HZI. „Eine Infektion bedeutet Stress für die Bakterien und für die Phagen. Diese Stresssituation bilden wir auch in unserer Forschung ab, um möglichst viele der Faktoren, deren Funktion wir noch nicht kennen, zu untersuchen.“ Dabei konzentriert er sich auf die Gruppe der Jumbophagen, deren Erbgut aus DNA aufgebaut ist und mehrere hundert Gene umfasst. 

Im Fokus: Jumbophagen und RNA-Phagen

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Pseudomonas aeruginosa, infiziert mit dem Jumbophagen ΦKZ (rot).
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Pseudomonas aeruginosa, infiziert mit dem Jumbophagen ΦKZ (rot).

Um das große Genom der Jumbophagen besser untersuchen zu können, hat Gerovac als Postdoktorand bei Prof. Jörg Vogel eine innovative RNA-Technologie entwickelt, um gezielt in die Phagenentwicklung einzugreifen. So konnten die Forscher in einem Jumbophagen des Krankenhauskeims Pseudomonas aeruginosa unterschiedlichste Phagenproteine systematisch ausschalten und darüber für die Entwicklung zentrale Proteine identifizieren. Vogel ist Geschäftsführender Direktor des HIRI und leitet die HIRI-Abteilung „RNA-Biologie von bakteriellen Infektionen“. Er setzt große Hoffnungen in die Phagenforschung: „Wenn es uns gelänge, das Potenzial von Phagen therapeutisch nutzbar zu machen, wäre das insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen ein vielversprechender neuer Ansatz.“

Eine gänzlich andere Gruppe von Bakteriophagen steht im Fokus der Forschung von Jun.-Prof. Jens Hör am HIRI: RNA-Phagen. „Ihr Erbgut besteht aus RNA. Dadurch entgehen RNA-Phagen beispielsweise dem bakteriellen Immunsystem CRISPR-Cas, das DNA-Sequenzen erkennen und schneiden kann“, sagt Hör. Er leitet die Nachwuchsgruppe „Molekulare Grundlagen von RNA-Phagen“. Mithilfe eines kürzlich eingeworbenen ERC Starting Grants untersucht er die grundlegenden Mechanismen, wie RNA-Phagen ihre Vervielfältigung effizient steuern, welche Wirtsfaktoren sie sich währenddessen zunutze machen und wie Bakterien sich gegen die Infektion verteidigen. „Einerseits ist das Verständnis dieser Mechanismen Voraussetzung für die Nutzung von RNA-Phagen als Therapeutika. Andererseits eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, völlig neue biotechnologische Werkzeuge zu entdecken“, sagt Hör.

Unerschlossene Ressourcen für die Phagentherapie

Weltweit suchen viele Forschungsteams im Abwasser nach neuen Phagen, die gegen Krankheitserreger wirksam sind. Dr. Jan Gogarten, Leiter der Nachwuchsgruppe „Evolutionäre Gemeinschaftsökologie“ am HIOH, nutzt für die Suche nach neuen Phagen hingegen eine ganz besondere Quelle: den Kot von nichtmenschlichen Primaten. Wildlebende Primaten haben ein abwechslungsreicheres Mikrobiom als Menschen, insbesondere als Menschen mit westlichem Lebensstil. Daher ist auch ihre Phagengemeinschaft diverser aufgestellt. „Diese Vielfalt könnte eine unerschlossene Ressource für die Phagentherapie darstellen. Insbesondere hoffen wir, dort Phagen mit einem breiteren Wirtsspektrum zu identifizieren, die dennoch für die den Menschen infizierenden Bakterien relevant sind“, sagt Gogarten. Außerdem könnten Bakteriophagen als Indikator dienen, wo Kontakte zwischen Menschen und Wildtieren stattfinden. Die damit verbundene Übertragung von Mikroorganismen ist auch eine Gefahr für Wildtiere, die durch menschliche Krankheitserreger in ihren Beständen gefährdet werden können. Zudem birgt sie ein Risiko für die globale Gesundheit, da so neue Zoonosen entstehen können.

Auch wenn in Bakteriophagen großes therapeutisches und biotechnologisches Potenzial liegt, werden sie die Antibiotikaresistenzkrise alleine nicht lösen können. „Das Problem besteht bei Bakteriophagen in der Produktion. Bei Antibiotika können wir den Wirkstoff nach Abschluss der Forschung und Entwicklung in ein Produkt pressen, das millionenfach hergestellt werden kann. Phagentherapie ist sehr viel individueller. Je nach Keim sind individuelle Phagen oder Phagencocktails notwendig“, sagt Prof. Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung „Chemische Biologie“ am HZI. Bakteriophagen werden Antibiotika also auch auf längere Sicht nicht komplett ersetzen können. Durch systematische Forschung, wie sie am HZI betrieben wird, können sie aber eine ergänzende Waffe im Arsenal gegen bakterielle Infektionen werden.

Charlotte Schwenner

Pressekontakt

Dr. Charlotte Schwenner
Wissenschaftsredakteurin