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One Health - Dreiklang der Gesundheit von Umwelt, Tier und Mensch

Das Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald ist ein neuer Standort des HZI und wurde im April dieses Jahres gegründet. Was genau bedeutet One Health? Und warum ist dieser Forschungsansatz heute besonders wichtig?

Infektionskrankheiten gefährden die Gesundheit des Menschen seit eh und je. Heute aber womöglich mehr denn je? „Das ist schwer zu beantworten. Doch es gibt eine ganze Reihe an Risikofaktoren, die Infektionen mit bislang unbekannten Erregern und deren Verbreitung heute begünstigen und wahrscheinlicher machen“, sagt Prof. Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des HIOH. „Eine wichtige Rolle spielt hier das vermehrte Vordringen des Menschen in Lebensräume von Wildtieren, der Verlust der Artenvielfalt, der fortschreitende Klimawandel und die Globalisierung.“

Sprung vom Tier auf den Menschen

Fabian Leendertz beim Fledermausfang in Ebokon (Guinea)
Fabian Leendertz beim Fledermausfang in Ebokon (Guinea) auf der Suche nach dem Reservoir des Ebola-Ausbruches 2014/2015

Die Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen wird als Zoonose bezeichnet, für die es derzeit leider ganz aktuelle Beispiele gibt: Das Virus SARS-CoV-2, der Erreger von COVID-19, dem mutmaßlich über eine Fledermaus der Sprung auf den Menschen gelang. Sowie das Virus MPXV (engl.: monkeypox virus), der Erreger der Affenpocken, deren Ausbruch die Weltgesundheitsorganisation kürzlich ebenfalls zur Notlage von internationaler Tragweite erklärt hat. „Zoonosen sind immer brisant und können weitreichende Folgen nach sich ziehen. Tatsächlich haben die meisten Infektionskrankheiten, mit denen wir es heute zu tun haben, einen zoonotischen Ursprung“, erklärt Leendertz. So ist eine der ältesten bekannten Zoonosen die Übertragung des Masernvirus von Rindern auf den Menschen um 500 v. Chr., wie neue genetische Mutationsanalysen von Masernviren nahelegen. Wenn ein Erreger im Menschen einen neuen Wirt gefunden hat, der seine Weiterverbreitung sichert, ist er in der Regel gekommen, um zu bleiben.

Forscher mit Lebendfalle
Mit Lebendfallen fangen die Forscher:innen Nagetiere zur Charakterisierung der Biodiversität von Kleinsäugern

„Manchmal braucht es dafür nur ein einziges Übertragungsereignis. Und im schlechtesten Fall kann sich ein so rasantes Infektionsgeschehen entwickeln, das sich aufgrund der Globalisierung zu einer weltumspannenden Pandemie auswachsen kann. Eine Vorstellung davon haben wir in den letzten 2,5 Jahren mit der Corona-Pandemie bekommen.“ Weil ihn Erkrankungen von Wildtieren schon immer besonders interessierten, hat sich Leendertz als Veterinärmediziner auf Mikrobiologie spezialisiert. Seine Doktorarbeit führte ihn Anfang der 2000er Jahre in den Regenwald der Côte d’Ivoire – und geradewegs in die Zoonosenforschung. Im dortigen Nationalpark Taï verendeten damals auf unerklärliche Weise immer wieder Schimpansen – Leendertz wollte herausfinden warum. Er konnte zeigen, dass ein neuer Typ von Milzbrand (Anthrax) dahintersteckte. Der Erreger, ein Bakterium, das Haut, Lunge oder Darm befällt, ist hochinfektiös. Allein durch Hautkontakt mit erkrankten oder auch bereits toten Tieren kann sich der Mensch leicht anstecken – mit manchmal tödlichem Ausgang, wenn nicht frühzeitig Antibiotika gegeben werden. „Das war der Punkt, an dem mir klar wurde, wie wichtig Zoonosenforschung ist und dass ich in diesem Bereich unbedingt weiterforschen möchte“, erinnert sich Leendertz. Heute gehört er zu den weltweit führenden Expert:innen in dem Bereich. Im Jahr 2020 wurde er mit dem „Champions of the Earth Award“, dem höchsten Umweltpreis der Vereinten Nationen, ausgezeichnet.

Was One Health bedeutet

Lorenzo Lagostina im Regenwald
Lorenzo Lagostina ist für das Projekt BIODIV-AFREID im Regenwald des Taï Nationalparks, Côte d’Ivoire, unterwegs

Doch unter welchen Bedingungen kommt es überhaupt dazu, dass Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen überspringen? Und wie kann das verhindert werden? Das sind genau die Fragen, mit denen sich der Forschungsansatz One Health (deutsch: Eine Gesundheit) beschäftigt. Dahinter steht ein Dreiklang: gesunde Umwelt, gesunde Tiere, gesunde Menschen. „Der Punkt ist: Wir können die menschliche Gesundheit nicht isoliert betrachten. Sie ist eng mit Umwelt und Tierwelt verzahnt, alles hängt miteinander zusammen“, sagt Leendertz. „Wenn wir eine gesunde Umwelt bewahren bzw. bestmöglich wiederherzustellen versuchen, können wir dafür sorgen, dass die Tiere möglichst gesund bleiben – und so auch die menschliche Gesundheit schützen.“

Doch jede Störung hat Auswirkungen auf das Gesamtsystem. Durch intensive Landnutzung und Klimawandel geraten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht, es kommt zu Veränderungen in den Artengemeinschaften und geschwächten Wildtierpopulationen – was Krankheitserregern ideale Bedingungen beschert. „Insbesondere Regionen mit natürlicherweise sehr hoher Biodiversität wie die Tropen haben zugleich eine hohe Vielfalt an Mikroorganismen und somit auch Krankheitserregern“, erklärt Leendertz. „Und die können sich ganz hervorragend verbreiten, wenn die Artenvielfalt abnimmt und sich einzelne Arten massiv vermehren. Meist sind das sogenannte Kulturfolger, die sich gut an die durch den Menschen veränderte Landschaft anpassen konnten.“ Hinzu kommt, dass der Mensch immer weiter in die Lebensräume von Wildtieren vordringt, etwa um neue Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung oder den Rohstoffabbau zu gewinnen. Auf diese Weise nimmt die Wahrscheinlichkeit für Mensch-Tier-Kontakte zu, und somit steigen auch die Übertragungsrisiken. „Eine wichtige Rolle spielt auch das menschliche Verhalten“, sagt Leendertz. „In den Tropen hat sich die Jagd auf Wildtiere stark verändert. Früher wurden traditionell Antilopen, Affen, Schweine oder andere große Wildtiere gejagt. Da aber viele dieser Arten lokal ausgestorben oder stark dezimiert sind, beginnen die Menschen, auch kleinere Tierarten zu jagen. Etwa größere Nagetiere oder Flughunde – und das erhöht das Risiko enorm, mit neuen, womöglich gefährlichen Erregern in Kontakt zu kommen.“

Forschung am HIOH

Blutentnahme an einer im Taï Nationalpark eingefangenen Fledermaus
Blutentnahme an einer im Taï Nationalpark eingefangenen Fledermaus

One Health verlangt nach einem ganzheitlichen Ansatz, den die Wissenschaftler:innen am HIOH gemeinsam mit ihren Gründungspartnern – der Universität Greifswald, der Universitätsmedizin Greifswald und dem Friedrich-Loeffler-Institut – sowie in enger Kooperation mit den Kolleg:innen am HZI verfolgen wollen. In den künftigen Forschungsprojekten werden unterschiedlichste Disziplinen an einem Strang ziehen: Human- und Veterinärmedizin, Mikrobiologie, Virologie, Epidemiologie, Arzneimittelforschung, Biodiversitätsforschung, Ökologie, Evolutionsbiologie, Anthropologie und Soziologie. „Um das große Ganze im Blick zu behalten, müssen wir Wissen und Know-how aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenführen“, sagt Leendertz. „Das ist eine spannende Herausforderung, auf die ich mich sehr freue.“

In einer großangelegten One-Health-Langzeit-Beobachtungsstudie werden die HIOH-Forschenden zwei unterschiedliche Modellregionen, in denen jeweils intensive Landwirtschaft und Jagd eine wichtige Rolle spielen, unter die Lupe nehmen. Ein Untersuchungsgebiet liegt in den afrikanischen Tropen, das andere in Mecklenburg-Vorpommern. In beiden Regionen wollen sie unter anderem Klimabedingungen, Biodiversität, Wildtierpopulationen sowie vorkommende Mikroorganismen untersuchen und eine Kohorte aus der vor Ort lebenden Bevölkerung einrichten, in die insbesondere auch Landwirte und Jäger aufgenommen werden sollen. „Mein wichtigstes Ziel ist es hier, dass wir die Beobachtungsstudie so gut durchdacht konzipieren und etablieren, dass sie auch noch in 30 oder 40 Jahren verwertbare Daten liefert und wir gute Ergebnisse im Zeitverlauf erhalten“, sagt Leendertz. „Dann werde ich zwar schon lange in Rente sein – aber auf die One-Health-Langzeitergebnisse freue ich mich bereits jetzt, denn so etwas gibt es bislang noch nicht.“

Fabian Leendertz arbeitete 22 Jahre am Robert Koch-Institut (RKI). Dort forschte er gemeinsam mit sechs weiteren Kooperationspartnern seit 2020 am sogenannten BIODIV-AFREID-Projekt, das durch die Universität Antwerpen koordiniert wird. Das über drei Jahre laufende Forschungsprojekt führt Leendertz am HIOH weiter. Dr. Lorenzo Lagostina, zuletzt Wissenschaftler am RKI und jetzt am HIOH, erklärt, woran sie forschen: „Wir wollen herausfinden, wie sich in den afrikanischen Wäldern Änderungen der Biodiversität auf die Lebensgemeinschaft und Gesundheit potenzieller Überträger – das sind in erster Linie kleine Nagetiere oder Fledermäuse – auswirken. Neben der Erfassung der Biodiversität der Kleinsäugerpopulationen mithilfe molekularer Methoden untersuchen wir die Tiere auf verschiedene Krankheitserreger. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den Erregern von Ebola, Corona und den Affenpocken.“

Um an Probenmaterial zu kommen, haben die Wissenschaftler:innen parallel in zwei verschiedenen Untersuchungsgebieten – eines liegt in der Demokratischen Republik Kongo und eines an der Côte d’Ivoire – systematisch Fallen aufgestellt. „Es gibt Fallen innerhalb eines Dorfes, auch in Häusern, am Rand der Siedlung sowie in fünf und acht Kilometer Entfernung, im zuletzt genannten Fall innerhalb eines Nationalparks“, sagt Lagostina. „Anhand dieses Gradienten können wir den Einfluss des Menschen auf die unterschiedlichen Lebensräume der Tiere abbilden und mit dem jeweiligen Erregervorkommen ins Verhältnis setzen.“ Den Tieren werden Abstriche aus Maul und After entnommen und wenige Tropfen Blut abgenommen, bevor sie wieder freigelassen werden. „Wir arbeiten hier ganz eng mit unseren Partnern in den beiden afrikanischen Ländern zusammen. Das wollen wir in zukünftigen Projekten fortführen und die angewandte Forschung und Surveillance vor Ort stärken“, ergänzt Leendertz. Die Proben werden dann durch die HIOH-Arbeitsgruppe sowohl in den afrikanischen Partnerlaboren als auch in Greifswald eingehend mithilfe verschiedener molekularer Diagnoseverfahren untersucht. „Hierbei fahnden wir nach viraler RNA bzw. DNA potenzieller Erregerkandidaten“, sagt Lagostina. „Dabei können wir nicht nur unterscheiden, ob es sich etwa um Ebola- oder Affenpockenviren handelt, sondern auch verschiedene Varianten der einzelnen Viren ausmachen und ermitteln, wie sie über die unterschiedlichen Untersuchungsgebiete verteilt sind.“

Wie One Health helfen kann

Flughund bei der Untersuchung
Flughund bei der Untersuchung

Das große Ziel, das One Health verfolgt, ist Prävention und Pandemic Preparedness (deutsch: Pandemievorsorge). Und dafür muss man wissen, wo genau die Gefahren liegen. Mit welchen Erregern haben wir es zu tun? Wie verändern sie sich über die Zeit? Welche Tiere sind potenzielle Überträger? Wo und wie können Übertragungen stattfinden? „Diesen Fragen wollen wir auf den Grund gehen, damit sinnvolle präventive Maßnahmen ergriffen und effizient umgesetzt werden können“, sagt Leendertz. Dazu gehört Umweltschutz, das Herstellen von Ernährungssicherheit, Verbesserung der medizinischen Versorgung und Aufklärung der vor Ort lebenden Bevölkerung, wo mögliche Ansteckungsrisiken liegen, und Beratung, wie die Menschen damit umgehen können. „Parallel dazu müssen wir uns natürlich auch auf den Ernstfall vorbereiten: Gefährliche Erregerkandidaten stetig überwachen, noch unbekannte Erreger aufspüren, die Impfstoff- und Medikamentenforschung vorantreiben und die Problematik von Resistenzen angehen. Das alles ist ebenfalls Teil von One Health“, sagt Leendertz.

Fotostrecke

Unterwegs im Regenwald des Taï Nationalparks, Côte d’Ivoire

Umwelt, Tiere und Menschen schwingen stets gemeinsam, so wie die Töne in einem Dreiklang. Fabian Leendertz und sein HIOH-Team treiben die One-Health-Forschung mit Hochdruck voran – um Dissonanzen möglichst schnell auszumachen und bestmöglich aufzulösen – für ein gesundes Miteinander aus Umwelt, Tier und Mensch.

Autorin: Nicole Silbermann
Veröffentlicht: Oktober 2022

 

Portrait Andreas Fischer

Pressekontakt

Dr. Andreas Fischer
Wissenschaftsredakteur