12.12.2019

Vorhersage von Ausrutschern des Ribosoms

Forscher des HIRI und der Max-Planck-Gesellschaft entwickeln ein thermodynamisches Modell zur Untersuchung von Verschiebungen des Leserasters

Im genetischen Bauplan für Proteine ist die Information für jede Aminosäure in Codons verschlüsselt. Diese bestehen aus drei aufeinanderfolgenden Bausteinen der Boten-RNA, die man Basentripletts nennt. Jedes dieser Tripletts kodiert genau eine Aminosäure. Bei der Proteinsynthese binden Adaptermoleküle - sogenannte tRNAs - spezifisch an die Codons und bringen die richtige Aminosäure in das aktive Zentrum des Ribosoms, wo sie an die wachsende Peptidkette gebunden wird. Obwohl dieser Prozess als sehr genau gilt, können Ribosomen bei bestimmten Boten-RNAs so programmiert werden, dass sie um eine Base verrutschen und so die Bedeutung aller folgenden Codons ändern. Dieser Mechanismus wird in der Fachsprache als programmierte, ribosomale Rasterverschiebung (programmed ribosomal frameshifting, PRF) bezeichnet. Juniorprofessorin Neva Caliskan vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einer gemeinsamen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig (HZI) und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, hat zusammen mit Forschern des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie (MPI-BPC) ein thermodynamisches Modell entwickelt, um die Effizienz von PRF zu berechnen. Mit dem Modell können die Forscher vorhersagen, wo PRF mit hoher Wahrscheinlichkeit auftritt und folglich alternative Proteine entstehen. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Nature Communications.

Schematische Darstellung eines Ribosoms ©RCSB PDB/David S. Goodsell (CC-BY-4.0)Schematische Darstellung eines Ribosoms ©RCSB PDB/David S. Goodsell (CC-BY-4.0) PRF bewirkt, dass das Ribosom während der Translation "rutscht" und den Leserahmen so ändert, dass ein anderes Protein produziert wird. PRF wird beispielsweise von Viren benutzt, die mit einer sehr begrenzten Anzahl an Boten-RNAs verschiedene Proteine herstellen müssen, um sich zu vermehren. „Dies ist kein zufälliges Ereignis, sondern wird durch externe Faktoren bestimmt. Bestimmte größere Motive, die einen PRF begünstigen, waren bereits bekannt. In dieser Studie beschreiben wir erstmals die Rolle einzelner RNA-Bausteine, sogenannter Basen“, sagt Prof. Neva Caliskan, Leiterin der Forschungsgruppe „Mechanismen des RNA-Recodings bei Infektionen“ am HIRI. Bei PRF kommt es teilweise zu Fehlpaarungen der Basen am Ribosom, wodurch Energie freigesetzt wird. Auf Basis der freien Energie entwickelten die Forscher ein thermodynamisches Modell, um die Effizienz der PRF entlang der Boten-RNA zu berechnen und vorherzusagen. Ihre Studie liefert signifikante Hinweise darauf, dass PRF ein thermodynamisch kontrollierter Prozess in der Zelle ist. „Jetzt haben wir ein Werkzeug, um das Erbgut nach möglichen Positionen für PRF zu durchsuchen. Darüber hinaus wird uns der Einblick in die thermodynamische Regulation der PRF helfen, bessere RNA-basierte Therapien zur Bekämpfung von Krankheitserregern zu entwickeln“, sagt Caliskan.

Originalveröffentlichung:
Lars V. Bock*, Neva Caliskan*, Natalia Korniy, Frank Peske, Marina V. Rodnina, Helmut Grubmüller: Thermodynamische Steuerung von -1 programmierten ribosomalen Frameshifting. Nature Communications 2019 DOI: 10.1038/s41467-019-12648-x (*trugen zu gleichen Teilen bei)

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