Herr Jahn, als Sie im Jahr 2000 an das Institut für Mikrobiologie berufen wurden, hieß das HZI noch Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF). Wie war damals das Verhältnis zwischen TU Braunschweig und GBF?
Als ich ins Biozentrum eingezogen bin, gab es auf jeder Etage Schilder mit der Aufschrift „GBF“, die auf ursprünglich dort lokalisierte Arbeitsgruppen verwiesen. Die Vision des Biozentrums war es nämlich, dass TU- und GBF-Gruppen darin gemeinsam an biotechnologischen Fragestellungen arbeiten. Das hatte sich bis zum Jahr 2000 aber fast erledigt, und die letzten GBF-Gruppen sind in den Folgejahren auch noch ausgezogen. Das Verhältnis einiger TU-Kollegen zur GBF reduzierte sich auf freundliches Ignorieren. Allerdings gab es eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ingenieuren der TU Braunschweig mit der Bioverfahrenstechnik an der GBF. Von ihnen wurde 2001 der Sonderforschungsbereich „Vom Gen zum Produkt“ ins Leben gerufen, in dem wir dann über zwölf Jahre zusammen erfolgreich geforscht haben.
Fast zeitgleich mit Ihnen kam Rudi Balling als Geschäftsführer der GBF nach Braunschweig, und es fand ein großer thematischer Wechsel von der GBF zum HZI statt. Wie hat die TU Braunschweig darauf reagiert?
Wir waren ja selbst zu dieser Zeit einigen großen Veränderungen unterworfen. Der Bologna-Prozess, also die Umstellung auf das Bachelor- und Master-System, zwang uns, die gesamte Lehre umzukrempeln. Außerdem waren die Universitäten einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. Wir brauchten ein klares Profil, um nationale und internationale Sichtbarkeit zu schaffen. Deshalb haben wir einen Profilbildungsprozess initiiert, bei dem das neue HZI-Thema entsprechend berücksichtigt wurde.
Und in diesem Prozess wurde das Thema „Infektionen und Wirkstoffe“ definiert?
Richtig. In den Lebenswissenschaften haben wir gemeinsam beschlossen, dass „Infektionen und Wirkstoffe“ unser strategisch relevantes Thema ist – das war also kein Zufall! Schon vor dem großen Strategieprozess haben wir uns dazu auf den Weg gemacht, indem wir Professuren für Infektionsmikrobiologie, Biotechnologie für rekombinante Antikörper und Wirkstoffforschung besetzt haben. Inzwischen betreiben TU und HZI mit der Proteomik und der Metabolomik wichtige OMICs-Technologien gemeinsam.
Warum hat sich die TU so sehr auf die Thematik des HZI zubewegt?
Im Vergleich mit anderen Universitäten haben wir personell gesehen eine kleine Biologie. Wenn wir international sichtbar sein wollen, müssen wir das mit dem HZI gemeinsam angehen. Und übrigens auch mit der DSMZ, die ebenfalls ein wichtiger Partner ist. Wir müssen gemeinsame Themen definieren, in denen wir uns hervorragend ergänzen können. Diese Themen sehen wir vor allem im Bereich der Grundlagenforschung von Infektionen und Wirkstoffen, denn ohne Grundlagenforschung keine Translation.
Ein weiteres gemeinsames Thema von TU und HZI ist die Systembiologie. Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit im BRICS?
Das Systembiologie-Zentrum BRICS ist das in Beton gegossene Vermächtnis von Rudi Balling an HZI und TU. Es ist die institutionelle Basis für die gemeinsame Forschung und sichert gleichzeitig die beständige Zusammenarbeit. Das gelingt aber nur durch Gegenseitigkeit: So arbeiten HZI-Gruppen im BRICS-Gebäude auf dem TU-Campus, TU-Gruppen arbeiten wiederum am Science Campus Braunschweig-Süd. Aber BRICS ist mehr als nur das Gebäude. Inzwischen gehören 24 Gruppen der TU, des HZI, der DSMZ und des TWINCORE in Hannover dazu. BRICS ist also eine Plattform für die koordinierte Bearbeitung gemeinsamer Forschungsprojekte, wie zum Beispiel zum Erreger Clostridium difficile und zum Stoffwechsel des Immunsystems. Es ist aber auch eine Technologie-Plattform, die die für alle Partner erforderlichen OMICs-Technologien komplementär und integriert abdeckt.
Eine weitere Verbindung zwischen HZI und TU Braunschweig ist die Ko-Berufung leitender Wissenschaftler des HZI. Wie stehen Sie dazu?
Die Ko-Berufungen integrieren die HZI-Kolleginnen und -kollegen in die Lehre und Forschungsstrukturen der TU. Damit sind Rechte verbunden, wie den Professorentitel zu führen und Doktorprüfungen abzunehmen. Im Gegenzug müssen sie ein Minimum an Lehrveranstaltungen bei uns leisten. Für unsere Studierenden ist es natürlich attraktiv, die HZI-Expertise in ihr Studium einbauen zu können. Das HZI wird im Gegenzug mit gut ausgebildetem Nachwuchs versorgt. Es gilt also wieder das Prinzip der Gegenseitigkeit. Wir legen großen Wert darauf, auf diese Art eine besonders hohe Qualität in der gemeinsamen Lehre anbieten zu können.
Außerdem ist die TU am Science Campus Braunschweig-Süd beteiligt. Welche Bedeutung hat dieser Campus über die reine Lokalisation von TU-Arbeitsgruppen hinaus?
Der Science Campus bietet für die gemeinsame Forschung und Entwicklung die nötige integrierte Infrastruktur. So bringen wir Personen und Themen zusammen, die zusammengehören. Typisches Beispiel ist unsere gemeinsame Proteomics-Einheit. Neben dem HZI und der DSMZ ist auch das dort angesiedelte Fraunhofer ITEM für die TU ein wichtiger Partner. Ich finde, wir bräuchten zusätzlich noch einige Firmen, die unsere Erkenntnisse in Produkte umsetzen. Platz dafür wäre ja da.
Zum Schluss der Ausblick in die Zukunft: Was ist wichtig, um die Zusammenarbeit weiterhin erfolgreich zu gestalten?
Nachhaltige Partnerschaft braucht eine bewusste Kultur des Gebens und Nehmens. Für gut ausgebildete Infektionsbiologen und Naturstoffforscher benötigt die TU auch die freiwillige, quantitativ spürbare Beteiligung der Ko-Berufenen des HZI an der Lehre. Dabei ist Zuverlässigkeit, auch in Krisenzeiten, eine zentrale Größe. In der Forschung gilt es, das große gemeinsame Potenzial von BRICS und dem Pharmaverfahrenstechnikzentrum PVZ mit dem HZI inklusive HIPS und HIRI voll auszuschöpfen – hier bahnt sich eine neue Ebene der Kooperation an.