Dirk Heinz
Interview

Dirk Heinz: „Wir sollten vorbereitet sein, um zukünftigen Pandemien etwas entgegensetzen zu können.“

Keine Infektionskrankheit hat den gesellschaftlichen Alltag im letzten Jahrhundert so geprägt wie die Coronavirus-Pandemie. Im Interview spricht Prof. Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des HZI, über Erfolge und Versäumnisse sowie Konzepte, um auf zukünftige Pandemien vorbereitet zu sein.

Wir befinden uns noch immer inmitten der Pandemie. Es gab mehrere Wellen und damit einhergehend auch Höhen und Tiefen im Umgang mit der Pandemie. Was hat aus Ihrer Sicht gut funktioniert?
Dass wir nach kurzer Zeit bereits über wirksame Impfstoffe verfügt haben, ist aus meiner Sicht ein fundamentaler Erfolg und wirklich großes Glück! Ohne Impfstoffe wären wir mit der derzeit vorherrschenden Delta-Variante höchstwahrscheinlich in einer extrem schwierigen globalen Notlage. Und wir wären auf solche Maßnahmen beschränkt, die man in der Seuchenbekämpfung bereits im Mittelalter kannte:  Herunterfahren des öffentlichen Lebens, Abstand, Mundnasenschutz und Quarantäne. Das Wort Quarantäne stammt aus der Zeit der Pest und bedeutete für Menschen, die sich mit dem tödlichen Erreger angesteckt hatten, eine Isolation von 40 Tagen. Danach war man entweder tot oder hatte die Infektion überwunden. In der aktuellen Corona-Pandemie macht die Impfung den entscheidenden Unterschied. Doch die Krise ist längst noch nicht überwunden. Das Virus könnte neue, gefährlichere Varianten ausbilden, gegen die die Impfung vielleicht nicht oder nicht mehr ausreichend schützt. Hier gibt bereits die neue Omikron-Variante Anlass zur Sorge. Wir müssen daher wachsam und diszipliniert bleiben.

Wo sehen Sie im gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie Verbesserungsbedarf?
Pandemien kündigen sich nicht an. Sie entwickeln sich am Anfang schleichend und ehe man sich versieht, steckt man mittendrin. Und in unserer westlich geprägten Gesellschaft waren wir es in unserem Alltag auch nicht mehr gewohnt, mit akuten ernsten Infektionskrankheiten umzugehen. Daher haben wir uns in der Umsetzung grundlegender Maßnahmen wie dem Maskentragen anfangs auch so schwergetan. Schwierig war dann natürlich auch, dass Masken eine Zeitlang nur unzureichend verfügbar waren, oder dass die Gesundheitsämter mit der Kontaktnachverfolgung überlastet waren. Später gab es dann logistische Probleme bei der Beschaffung von Impfstoffen. Und auch was Quarantäne- und Lockdown-Maßnahmen angeht, ist vieles, insbesondere auch in der Kommunikation, nicht gut gelaufen. Aus den Fehlern und Versäumnissen sollten wir unsere Lehren ziehen, um es dann im Fall einer neuen Pandemie besser machen zu können.

Das HZI hat gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) ein Konzept zum Aufbau einer Nationalen Allianz für Pandemie-Therapeutika (NA-PATH) entwickelt. Wie entstand die Idee und was ist das Ziel?
Schon zu Beginn der Pandemie wurde deutlich: Es fehlt nicht nur an Impfstoffen, sondern auch an Wirkstoffen. Hier sollten wir alle Kraft und Expertise bündeln, um in einem erneuten Pandemiefall besser aufgestellt zu sein und einen schnell verfügbaren Fundus an wirksamen Medikamenten zur Verfügung zu haben. Im Fall von Covid-19 haben Drug-Repurposing-Ansätze, bei denen getestet wird, ob bereits zugelassene Arzneimittel auch zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden können, zunächst nicht zum Erfolg geführt. Hoffnung machen aktuell zwei neue wirksame Virostatika. Sie hemmen die Ausbreitung von Viren im Körper, wirken allerdings nur zu Anfang einer Infektion. Verpasst man den richtigen Zeitpunkt, und das passiert leicht, da etwa bei Covid-19 anfangs keinerlei Symptome auftreten, benötigt man andere Medikamente wie z. B. Immunsuppressiva, die ein Überschießen der Immunantwort herunterregulieren.  Virale Infektionen stellen eine medikamentöse Behandlung vor besondere Herausforderungen. Mit NA-PATH möchten wir eine präventive Wirkstoffforschung zielgerichtet vorantreiben – mit Blick auf Erreger, die uns in Zukunft gefährlich werden könnten: Das sind insbesondere RNA-Viren wie Influenzaviren, Coronaviren oder Flaviviren, zu denen Zika- und Dengueviren gehören. Wir sollten vorbereitet sein, um zukünftigen Pandemien möglichst rasch auch medikamentös etwas entgegensetzen zu können. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf, und wir hoffen, die neue Bundesregierung davon überzeugen zu können, unser NA-PATH-Konzept zu unterstützen.

Wie ist das HZI mit der Corona-Pandemie umgegangen und die Herausforderungen angegangen?
Wir haben die Krise von Beginn an sehr ernst genommen und haben zunächst alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Und ich bin dankbar, dass alle Bereiche – Forschung, Administration, technischer Betrieb, Sicherheit und Reinigung – so gut reagiert und ihren Beitrag geleistet haben, so dass wir in der Pandemie forschungsstark bleiben und durchweg Betriebsbereitschaft gewährleisten konnten. Unsere Forscherinnen und Forscher haben sehr rasch Verantwortung übernommen und sich gefragt, was sie aus dem HZI heraus leisten können, um die Pandemie einzudämmen. Der Großteil von ihnen hatte bis dahin nicht an Coronaviren gearbeitet. In Eigeninitiative haben sie sich an zahlreichen Drittmittelinitiativen und kooperativen Netzwerken beteiligt oder diese koordiniert, unsere Hochsicherheitslaboratorien für die Forschung an SARS-CoV-2 angepasst, Wirkstoffe entdeckt und getestet, neuartige diagnostische Werkzeuge entwickelt sowie grundlegende molekulare Infektionsprozesse erforscht. Und über die Nutzung des im HZI entwickelten digitalen Infektionsmanagementsystems SORMAS konnten zahlreiche Gesundheitsämter in Deutschland bei der Fall- und Kontaktpersonenverfolgung unterstützt werden. Besonders hervorzuheben sind auch die epidemiologischen Aktivitäten unserer Wissenschaftler:innen zur Modellierung, Überwachung und Kontrolle des Infektionsgeschehens.  Es ist wirklich großartig, was die Mitarbeitenden des Zentrums in diesen zwei Jahren geleistet haben. Besonders danken möchte ich schließlich den zahlreichen HZI-Forscher:innen, die sich nicht gescheut haben, in der Öffentlichkeit aufzutreten, um Politik und Gesellschaft in dieser herausfordernden Krise beratend zu unterstützen.

Interview: Nicole Silbermann

Susanne Thiele

Pressekontakt

Susanne Thiele
Stabsstellenleiterin, Pressesprecherin