Sichtbarkeit im Netz – Vom analogen Wissenschaftler zum Online Scientist

Von der Präsenz in sozialen Medien profitieren Wissenschaftler und Wissenschaft gleichermaßen. Denn digitale Wissenschaftskommunikation geht weit über bloßes Selbstmarketing hinaus

Wissenschaftler, die twittern, bloggen, instagrammen oder podcasten, gehören noch immer zu einer raren Spezies – besonders in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie (1) ist nur jeder zweite deutsche Nachwuchsforscher davon überzeugt, dass Wissenschaftskommunikation für die Öffentlichkeit die eigene wissenschaftliche Karriere ankurbelt. Dagegen stimmen drei Viertel der Forschenden aus Asien und den USA der Aussage zu. Doch wie funktioniert Sichtbarkeit im Internet und welche Vorteile haben Twitter & Co. für den einzelnen Wissenschaftler und die Forschung im Allgemeinen?

Wer heute Informationen über eine Person oder ein Thema sucht, nutzt Suchmaschinen. Das trifft auf akademische Auswahlgremien zu, die Bewerber für Postdoc- oder Professorenstellen überprüfen, aber auch auf Absolventen, die sich im Netz nach der passenden Laborgruppe für ihre weitere wissenschaftliche Laufbahn erkundigen. Selbst Journalisten sind per Google auf der Suche nach kommunikationsfreudigen Experten für Artikel und Interviews. Wer als Wissenschaftler nicht über ein Online-Profil verfügt, vergibt Chancen, gefunden zu werden und schränkt seine Sichtbarkeit und die seiner Forschung massiv ein.

Denn Blogs und Social Media erweitern die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Diskurses. Zwischen den eigentlichen Publikationen können Forschungsdesigns und Thesen über Twitter oder in Blogkommentaren mit Peers besprochen werden. Durch das Sichtbarmachen des Forschungsprozesses und der Gedankengänge können sich neue Ideen für Veröffentlichungen entwickeln. Zusätzlich lässt die informelle Kommunikation über Online-Kanäle leicht neue Kontakte zu Kollegen oder ganze Forschungskooperationen entstehen, die es ohne eine initiale Diskussion auf Twitter nie gegeben hätte. Auf Konferenzen dient der Microblogging-Dienst als Feedbackkanal und Organisationsmittel. Kennt man sich bereits über Twitter, ist das Eis schneller gebrochen und Networking auf Fachtagungen einfacher. Wer täglich auf Twitter mitliest, ist über aktuelle Entwicklungen auf dem eigenen Forschungsgebiet, Jobangebote und anstehende Wissenschaftsevents immer bestens informiert. Eine 2016 veröffentliche Studie (2) bestätigt sogar, dass das Posten von Artikeln auf Twitter sich positiv auf die Zitationsrate auswirkt.

Melissa Terras, Forscherin am University College in London, berichtet unter dem Titel “Is blogging and tweeting about research papers worth it? The Verdict“(3), wie sie ihre Artikel per Twitter – mit einer Ausnahme – beworben hat. Die getweeteten Artikel erreichten zwischen 142 und 297 Downloads, der nicht beworbene Artikel nur zwölf, obwohl er online an gleicher Stelle verfügbar war.

Zeigen, wer man ist und mit welcher Begeisterung man forscht, können Wissenschaftler darüber hinaus am besten mit einer eigenen Website. Sie ist die Basis der eigenen Online-Präsenz, verdrängt unliebsame andere Google-Ergebnisse und steht häufig an Position 1 der Suchergebnisse. Im Unterschied zur Präsentation auf Instituts- oder Hochschulseiten bietet sie einen größeren Spielraum, sich selbst und seine Forschung vorzustellen. Wechselt man die Stelle, bleibt das wissenschaftliche Online-Profil erhalten. Die persönliche Webpräsenz bietet außerdem ausreichend Platz, um Videos, Fotos, Präsentationen oder Zwischenergebnisse zur eigenen Forschung zu veröffentlichen.

Dem kreativen Einsatz sozialer Medien sind kaum Grenzen gesetzt. Twitter kann in der Lehre eingesetzt werden, wie im vorliegenden Artikel (4) beschrieben, oder als historischer Twitteraccount (5) Ereignisse aus der Geschichte nacherzählen. Manchmal reicht aber auch schon die Gewissheit, dass andere Wissenschaftler vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie man selbst. Auf Twitter oder Instagram tauschen sich Forschende unter den Hashtags #phdchat, #phdlife und #showusyourscience weltweit über ihren Forschungsalltag aus.

In den sozialen Medien erfolgreich aktiv zu sein, setzt ein klares Ziel vor Augen voraus. Was soll mit den eigenen Online-Aktivitäten erreicht werden? Der Aufbau eines Netzwerks aus Wissenschaftskollegen? Oder die Vermittlung von wissenschaftlichen Zusammenhängen für ein nichtwissenschaftliches Publikum? Erst im zweiten Schritt fällt die Entscheidung für die passende Plattform. Tritt man unter vollständigem Namen den sozialen Netzwerken bei, sind auch diese Profile über Suchmaschinen auffindbar.

Wer die ersten Online-Schritte unbemerkt gehen möchte, kann sich zunächst mit einem Pseudonym anmelden oder vorläufig nur mitlesen statt gleich selbst zu posten. Denn jedes soziale Netzwerk funktioniert anders, und es braucht Zeit, die jeweiligen Gepflogenheiten kennenzulernen. Das eigene Online-Netzwerk kann mit bereits bekannten Offline-Kontakten aufgebaut werden: den Namen des Institutskollegen in die Twittersuche eingeben und schauen, mit wem dieser vernetzt ist.

Eine Studie (6) aus dem Jahr 2011 stellte fest, dass Wissenschaftler häufiger retweeten als andere Nutzerkreise. Wer soziale Medien effektiv nutzen möchte, muss jedoch mit anderen interagieren. Dazu gehört, sich selbstbewusst zu Wort zu melden und an Online-Diskussionen teilzunehmen. Wissenschaftler mit einer großen Followerzahl verstehen es, Persönlichkeit und Dialogfähigkeit zu demonstrieren. Sie posten pointiert zu Wissenschaftsthemen, kuratieren die Inhalte anderer Wissenschaftler oder geben engagiert online Hilfestellung. Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin, positioniert sich darüber hinaus wissenschaftspolitisch und erreicht über 1500 Follower bei Twitter (7).

Das Schreiben eines regelmäßigen Wissenschaftsblogs nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, gute Blogbeiträge können jedoch weit gestreut und über Social Media verlinkt werden. Jeder Blogpost ist eine weitere Möglichkeit, online als Experte gefunden zu werden. Eine Analyse von 126 Wissenschaftsblogs (8) zeigte, dass 72 Prozent der Blogger über einen ergänzenden Twitter-Account verfügen, das wichtigste soziale Netzwerk in der Wissenschaft. Eine wachsende Wissenschaftscommunity formiert sich auch auf Instagram. Hier erzählen vor allem Wissenschaftlerinnen wie die Neurowissenschaftsstudentin Stina Börchers (9) Wissenschaft visuell oder zeigen ihren Laboralltag. Es stehen Inspiration und Motivation im Vordergrund, weniger aktuelle Nachrichten und Events wie bei Twitter. Facebook ist das am wenigsten professionelle Netzwerk, wird jedoch von Wissenschaftlern genutzt, um mit Kollegen und Studienfreunden verbunden zu bleiben. Für wen welcher Kanal der geeignete ist, hängt nicht nur vom persönlichen Ziel ab, sondern genauso davon, wo man sich am wohlsten fühlt und der Nutzen des eigenen Wissenschaftsgebietes am besten kommuniziert werden kann.

Autorin: Susanne Geu

Veröffentlichung: Mai 2019

Quellenverzeichnis

  1. Carsten Könneker: Young Researchers and Science Communication: Results of an Extensive Survey
  2. Brandon K. Peoples et al.: Twitter Predicts Citation Rates of Ecological Research. 
  3. Melissa Terras. Is blogging and tweeting about research papers worth it? The Verdict.
  4. Mareike König. Twitter in der Lehre
  5. Schmalenstroer/wiki. Tweeting von historischen Ereignissen.
  6. Katrin Weller et al.: Citation Analysis in Twitter. Approaches for defining and measuring information flows within tweets during scientific conferences. 
  7. Jule Specht. Twitter.
  8. Hadas Shema et al.: Research Blogs and the Discussion of Scholarly Information. 
  9. Instagram: Stina Börchers

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Ansprechpartner

Dr. Andreas Fischer

Wissenschaftsredakteur (Stellv. Pressesprecher)

Über die Autorin

Susanne Geu ist Wissenschaftscoach und freie Autorin. Sie hilft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, erfolgreich digital zu kommunizieren. Tipps und Tricks für digitale Wissenschaftskommunikation verrät sie auf Twitter und Instagram.

Mit gutem Beispiel voran:

HZI Forscher bei Twitter

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