Wie wir uns vor Infektionen schützen

Unseren Alltag bestreiten wir gemeinsam mit unzähligen Mikroben und Viren, die uns auch infizieren können. Viele Angriffe wehrt das Immunsystem ab, aber dazu braucht es unsere Mitarbeit – die richtige Hygiene und regelmäßige Impfungen.

Viren und Bakterien, Pilze und Hefen lauern überall. Ob zu Hause, bei der Arbeit, im Krankenhaus oder sogar am und im menschlichen Körper – sie besiedeln jeden Zentimeter auf der Erde. Die meisten Mikroorganismen und auch Viren, die nicht zu den Lebewesen gezählt werden, können uns nichts anhaben. Ganz im Gegenteil: Mikroben sind sogar äußerst nützlich, bauen Abfälle und giftige Substanzen ab oder helfen uns als Darmflora bei der Verdauung. Doch einige wenige Spezies können auch mal eine Infektion auslösen, wenn sie an die falsche Stelle oder in zu großer Zahl in den Körper gelangen.

Da Keime überall ein Zuhause finden, können wir sie uns in unserem gesamten Umfeld einfangen. Besonders gefragte Keim-Behausungen wie Mülleimer, Putzlappen oder der Kühlschrank punkten mit Feuchtigkeit und Nahrungsresten. Sehr beliebt bei Bakterien und Pilzen sind offenstehende Lebensmittel, zum Beispiel eine geöffnete, ungekühlt gelagerte Saftflasche. Oder das Schneidebrett aus Holz, auf dem sich gerade nach der Verarbeitung von Geflügel Keime wie Campylobacter oder Salmonellen wohlfühlen, die häufigsten Erreger von Magen-Darm-Infektionen.

"Wir brauchen Bakterien, auch um das Immunsystem zu trainieren. Daher können und sollten wir nicht in einer sterilen Welt leben."

Dietmar Pieper, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Interaktionen und Prozesse

Der menschliche Körper ist für Mikroorganismen sogar derart attraktiv, dass die Zahl der mikrobiellen Bewohner die der Körperzellen übertrifft. Auf der Haut und im Nasen-Rachen-Raum sind zum Beispiel Staphylokokken als natürliche Besiedler weit verbreitet. Geraten sie jedoch außer Rand und Band, können sie schwere Wundinfektionen auslösen. Zu ihnen gehört auch der gefährliche Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), der gegen gängige Antibiotika resistent und damit nur schwer behandelbar ist. Etwa 20 Prozent der Menschen tragen ihn unbemerkt in der Nase. Aber laut Dietmar Pieper, dem Leiter der Forschungsgruppe „Mikrobielle Interaktionen und Prozesse“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), ist das kein Grund zur Panik: „Wir brauchen Bakterien, auch um das Immunsystem zu trainieren. Daher können und sollten wir nicht in einer sterilen Welt leben.“ Multiresistente Keime sollten allerdings nicht verharmlost werden. Sie erfordern im Fall einer Infektion – auch zum Schutz der Mitmenschen – verschärfte Hygienemaßnahmen.

Täglicher Schutz

Der Alltag wartet mit vielen potenziellen Infektionsrisiken auf, die sich manchmal nicht umgehen lassen. „Eine Lebensmittellieferung kann mal verunreinigt sein, zum Beispiel mit Listerien“, sagt Pieper. „Der Schutz davor ist schwierig, weil ein solcher Fall so selten vorkommt und man es den Lebensmitteln nicht ansieht.“ Um das Risiko zu minimieren, warnt der Mikrobiologe vor dem Verzehr verdorbener Lebensmittel, in denen nicht nur Bakterien, sondern auch Pilze wachsen und Giftstoffe bilden können. Außerdem gilt: „Andere Länder, andere Mikroben. Daher ist es zum Beispiel sicherer, Lebensmittel gekocht zu essen“, sagt Pieper. Ein häufiger Weg der Infektion führt über die Hände, wobei Keime von berührten Oberflächen in Mund und Nase gelangen. Diese Schmierinfektion kann unter anderem Grippeviren, aber auch Magen-Darm-Keime wie Escherichia coli übertragen, unter denen laut Pieper „natürlich auch ein krankheitserregender Kerl sein kann“. Der sicherste Schutz davor ist denkbar einfach: „Im Alltag reicht regelmäßiges Händewaschen mit Seife vollkommen aus, das schont auch die Haut im Gegensatz zu Desinfektionsmitteln“, sagt Dietmar Pieper.

Aber: Auf das richtige Händewaschen kommt es an. Mal eben schnell die Finger unter dem Wasserhahn zu befeuchten, reicht nicht. Das Gesundheitsamt empfiehlt, die Hände unter fließendes Wasser zu halten, sie dann gründlich 20 bis 30 Sekunden lang mit Seife einzureiben, unter fließendem Wasser wieder abzuspülen und mit Papiertüchern oder einem persönlichen Handtuch komplett trockenzureiben. Um Infektionen so gut wie möglich vorzubeugen, ist es zudem wichtig, sich die Hände jedes Mal nach dem Naseputzen, dem Toilettengang, dem Streicheln eines Tieres oder der Zubereitung von rohem Fleisch zu waschen.

Das Immunsystem gegen Trickser wappnen

Besonders geschickte Eroberer des menschlichen Körpers sind Viren. Sie verändern sich sehr schnell und überraschen das Immunsystem immer wieder in einer neuen Verkleidung. So erkennen die Immunzellen die Eindringlinge erst als krankheitserregend, wenn die Infektion schon im Gange ist. An manche Erreger kann sich das Immunsystem jedoch das ganze Leben lang erinnern. Zu dieser Gruppe gehören das Rubellavirus, das die Röteln auslöst, und das Masernvirus, das für die jüngsten Masernausbrüche verantwortlich ist. Das gute Gedächtnis des Immunsystems lässt sich in diesen Fällen auch schon aufbauen, ohne erst die mitunter lebensbedrohliche Infektion durchmachen zu müssen. „Impfungen gehören neben der Hygiene und dem Zugang zu sauberem Wasser zu den wichtigsten Bausteinen der Prävention von Infektionen“, sagt Berit Lange, Ärztin und Wissenschaftlerin in der HZI-Abteilung „Epidemiologie“. „Eine gute Impfung kann einen Erreger sogar auslöschen."

"Impfungen gehören neben der Hygiene und dem Zugang zu sauberem Wasser zu den wichtigsten Bausteinen der Prävention von Infektionen"

Berit Lange,  Ärztin und Wissenschaftlerin am HZI

So haben Impfungen bereits große Erfolge erzielt, etwa die Ausrottung der Pocken. Auch das Poliovirus, das Kinderlähmung verursacht, ist weitestgehend vom Globus verschwunden. Konsequenten Impfprogrammen ist es zu verdanken, dass Deutschland seit 1990 poliofrei ist – mit zwei letzten importierten Fällen im Jahr 1992. Das Polio-Wildvirus tritt nur noch in Pakistan und Afghanistan auf, von wo aus es in andere Länder getragen werden könnte und daher die Impfung weiterhin nötig ist. Voraussetzung für die Ausrottung eines Erregers ist die sogenannte Herdenimmunität: Sie stellt sich ein, wenn so viele Menschen geimpft oder immun sind, dass sich einzelne Infektionsfälle nicht weiter ausbreiten. Wie hoch die dafür notwendige Durchimpfung sein muss, hängt davon ab, wie effektiv der Impfstoff ist und wie leicht oder kompliziert die für eine Infektion nötige Erregermenge übertragen werden kann. „Bei Masern ist die notwendige Durchimpfungsrate mit 95 Prozent recht hoch, obwohl der Impfstoff sehr effektiv ist“, sagt Berit Lange. „Das liegt daran, dass ein Mensch mit Masern durchschnittlich 15 weitere ansteckt.“

Muss eine Impfpflicht sein?

Seit 2014 gehen laut Robert Koch-Institut unter Kindern die Impfquoten gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Polio geringfügig zurück. Bei Masern stagniert die Quote auf einem zu niedrigen Wert, zumindest für die zweite Impfung, sodass noch keine Herdenimmunität gegeben ist. Denn erst nach zwei Impfungen ist der Schutz vollständig. Das gilt auch für Mumps, Röteln oder Windpocken. „Die Impfbereitschaft und die Durchimpfung gegen Masern ist in Deutschland nicht dramatisch schlecht, aber eben nicht ausreichend hoch, um die Masern zu eliminieren“, sagt Lange. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) müssten dafür mindestens 95 Prozent der Bevölkerung zweimal gegen Masern geimpft sein. Mit 97,1 Prozent schaffen die Deutschen diesen Wert nur bei der ersten Impfung, die Quote für die zweite Impfung stagniert bei 92,8 Prozent (2016, 2017). Bislang knacken nur zwei Bundesländer die 95-Prozent-Marke bei beiden Impfungen: Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Bundesweites Schlusslicht ist Baden-Württemberg mit nur 89,1 Prozent. Das Ziel, die Masern auszurotten, kann so nicht erreicht werden, was zusammen mit dem Auftreten regionaler Masernausbrüche nun zur Einführung einer Impfpflicht geführt hat.

„Als Ärztin möchte ich die Menschen lieber von einer Impfung überzeugen, anstatt sie zu zwingen. Aus Sicht des Gesundheitswesens und als Forscherin kann ich die Einführung der Impfpflicht verstehen, ich finde diesen Schritt aber traurig“, sagt Berit Lange. „Dass nur noch geimpfte Kinder in Tagesstätten – insbesondere mit Kindern unter drei Jahren – aufgenommen werden dürfen, finde ich dagegen richtig, um so auch die Kinder zu schützen, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können.“ Wichtig sei auch, dass die Einrichtungen wissen, welche der angemeldeten Kinder geimpft sind und welche nicht. „Diese Dokumentation wird durch das neue Gesetz sicherlich verbessert.

Dass Impfungen und Impfkampagnen sicher bleiben und zu einer möglichst hohen Durchimpfungsrate führen, daran forscht die HZI-Abteilung „Epidemiologie“. So hat ein Projektteam um Langes Kollegin Jördis Ott im Rahmen einer Studie die App „SafeVac“ entwickelt und untersucht nun, wie erfolgreich sich damit Symptome nach einer Grippeimpfung erfassen lassen. Berit Lange selbst erforscht mit Kollegen der Universitätsklinik Freiburg, wie Erkrankungen, vor denen eine Impfung schützen würde, bei anfälligeren Bevölkerungsgruppen am besten verhindert werden können. Zuvor hatte Lange mit internationalen Partnern die Sicherheit der Rötelnimpfung bei Schwangeren untersucht, die eigentlich nicht geimpft werden sollten. In einer Metaanalyse der bisherigen wissenschaftlichen Literatur konnte sie allerdings bei versehentlich geimpften Schwangeren keine Hinweise auf impfassoziierte Fehlbildungen bei den Babys finden.

Keimschmiede Krankenhaus

Im Gegensatz zu „normalen“ Alltagskeimen gewinnen resistente Bakterien zunehmend an Bedeutung. Durch den überbordenden Einsatz von Antibiotika haben immer mehr Bakterienstämme Resistenzen gegen diese einstigen Wunderwaffen der Medizin gebildet. Kritisch sind vor allem umfangreiche Antibiotikagaben in der Tierzucht und die sinnlose Verabreichung bei einer Erkältung, denn Antibiotika bekämpfen ausschließlich Bakterien und sind gegen Viren – zumeist die Auslöser von Erkältungen – völlig wirkungslos. Falsch eingesetzt fördern sie nur die Ausbildung von Resistenzen. „Bakterien verändern sich, sodass auf ganz natürliche Weise auch mal Antibiotikaresistenzen entstehen – einfach, weil viele Antibiotika im Einsatz sind“, sagt Dietmar Pieper. „Daher kommen resistente Bakterien überall und in jedem von uns vor.“ Gerade in Krankenhäusern entstehen viele resistente Bakterien, die bei unzureichender Hygiene oder auch mit dem Abwasser verbreitet werden. „Im Umgang mit Patienten ist es entscheidend, die richtigen Hygienemaßnahmen zu betreiben. Gründliches Händewaschen und Desinfizieren nach jedem Patientenkontakt müssen zur Routine gehören“, sagt Pieper. Die richtige Hygiene setze aber voraus, dass das medizinische Personal über Keime gut aufgeklärt sei und genau wisse, was der einzelne Patient hat. „In den Niederlanden wird jeder Patient im Krankenhaus auf das Tragen von MRSA getestet – mit dem Ergebnis, dass dieser Erreger dort viel seltener ist“, sagt Pieper.

"Grundsätzlich könnten alle Bakterien an und in uns eine Infektion auslösen, etwa bei einem ungünstigen Artenmix oder bei schwer immungeschwächten Menschen. Angst sollte deswegen aber niemand haben, denn ohne Mikroben wäre unser Leben gar nicht möglich."

Dietmar Pieper

Auch wenn Hygiene in der Klinik wie im Alltag effektiv vor Keimen schützt, bleibt immer ein Restrisiko. „Vor manchen Infektionen kann man sich kaum sinnvoll schützen, weil sie extrem selten sind und einfach aus dem Nichts auftauchen – auch bei gesunden Menschen“, sagt Dietmar Pieper. Ein Beispiel ist die nekrotisierende Fasziitis, die durch Streptokokken oder Vibrio, oft auch durch eine Mischinfektion ausgelöst wird und in kürzester Zeit zur Zerstörung des befallenen Gewebes führen kann. Warum diese Infektionen manchmal schwerwiegend verlaufen, könne in vielen Fällen niemand beantworten. Pieper hat im Rahmen eines groß angelegten EU-Projektes (INFECT) gemeinsam mit dem Team um Eva Medina vom HZI die mikrobielle Zusammensetzung bei der nekrotisierenden Fasziitis erforscht. Sie fanden heraus, dass die auslösenden Bakterien meist harmlose Besiedler des Körpers sind, die aus bisher unbekannten Gründen auf Zerstörung umschalten. „Wie in einem Orchester arbeiten sie zusammen und sind damit in der Lage, das Wirtsgewebe zu kolonisieren und dort eine zerstörerische entzündliche Immunantwort zu verstärken“, sagt Medina, die am HZI die Forschungsgruppe „Infektionsimmunologie“ leitet. Dietmar Pieper ergänzt: „Grundsätzlich könnten alle Bakterien an und in uns eine Infektion auslösen, etwa bei einem ungünstigen Artenmix oder bei schwer immungeschwächten Menschen. Angst sollte deswegen aber niemand haben, denn ohne Mikroben wäre unser Leben gar nicht möglich.“

Autor: Andreas Fischer

Veröffentlichung: November 2019
 

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