Grippe 2018: HZI-Experten über die aktuelle Situation und die Ursachen

Deutschland steht der Höhepunkt der alljährlichen Grippewelle noch bevor: Bereits seit Ende Dezember 2017 nimmt die Zahl der akuten respiratorischen Erkrankungen stetig zu. In der ersten Meldewoche 2018 wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) 1326 bestätigte Fälle von Influenzainfektionen übermittelt, während der Grippewelle 2016/2017 waren es insgesamt rund 114.000. Vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig äußern sich die Experten Prof. Carlos A. Guzmán, Leiter der Abteilung „Vakzinologie und angewandte Mikrobiologie“, Dr. Stefanie Castell, stellvertretende Leiterin der Abteilung „Epidemiologie“, und Prof. Klaus Schughart, Leiter der Abteilung „Infektionsgenetik“, zum aktuellen Stand der Grippewelle und zu den Hintergründen.

Wie ist der momentane Stand der Grippewelle?
Dr. Stefanie Castell: „Die aktuelle Grippewelle hat in der letzten Dezemberwoche 2017 (52. Kalenderwoche) begonnen. Gegenwärtig wird ihre Intensität als mittel eingestuft. Die Grippewelle ist von der allgemeinen Erkältungswelle zu unterscheiden, die im Frühherbst 2017 (38. Kalenderwoche) einen Höhepunkt erreichte und anschließend zumeist schwächer verlief als diejenige des Vorjahres. Offiziell an Grippe verstorben sind bisher 14 Personen, die meisten davon in einem Alter über 60 Jahre.“

Update (24.01.2018): Sechs der 14 verstorbenen Patienten waren mit einem Influenza-B-Virus der sogenannten Yamagata-Linie infiziert. Insgesamt wurden dem RKI bislang 6433 bestätigte Influenzainfektionen gemeldet.

Was unterscheidet eine einfache Erkältung von einer Grippe?
Dr. Stefanie Castell: „Eine echte Grippe wird durch hoch ansteckende Influenza-Viren ausgelöst. Für sie ist ein plötzlicher Krankheitsbeginn mit hohem Fieber, das bis auf über 40 Grad steigen kann, typisch. Dazu kommen Symptome wie Halsschmerzen, trockener Husten und heftige Kopf-, Muskel- und/oder Gliederschmerzen. Eine Erkältung wird auch durch Viren ausgelöst, klingt aber im Normalfall bereits nach einer Woche wieder ab. In der Regel können sich Erkrankte mit Schleimlösern, bekannten Hausmitteln wie Salbeitee, Lindenblütentee, Inhalationen mit Kamille oder Salzwasser und vor allem Bettruhe auskurieren.“

Welche Virenstämme herrschen in diesem Jahr vor?
Prof. Carlos A. Guzmán: „Der Virusstamm, der in dieser Saison dominiert, ist der Influenza-Subtyp H3N2, der auch im aktuellen Impfstoff enthalten ist. Neben Influenza erkranken jedoch aktuell auch viele Menschen am Respiratorischen Syncitialvirus (RSV), das Atemwegserkrankungen vor allem bei Senioren und Kleinkindern auslöst. In Europa ist das H3N2-Virus für etwa 96 Prozent der Influenza-Infektionen verantwortlich.“

Wie gut passt aus Ihrer Sicht der aktuelle Grippeimpfstoff?
Prof. Carlos A. Guzmán: „Die aktuellen Impfstoffe enthalten neben H3N2-Antigenen auch solche für das Influenza-Virus H1N1 sowie ein bzw. zwei Influenza B-Arten. Damit sind Menschen, die schon geimpft wurden oder den Impfstoff jetzt erhalten, nicht nur gegen den in dieser Saison dominanten H3N2-Virus geschützt, sondern auch gegen Arten, die vielleicht noch später in der Grippesaison zirkulieren. Es wird oft beobachtet, dass Influenza B seinen Höhepunkt zu einem späteren Zeitpunkt aufweist.

Der Vierfachimpfstoff (Influsplit, GSK) ist seit einigen Jahren verfügbar und baut einen Impfschutz gegen Influenza A H1N1 und H3N2 und gegen zwei Influenza B-Linien (Victoria und Yamagata) auf. Er ist jedoch teurer als der trivalente Standardimpfstoff (Fluad, Sequeris) und wird insbesondere an immunsupprimierte Individuen oder Patienten mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verabreicht. Seit kurzem empfiehlt die Ständige Impfkommission am RKI diesen Vierfachimpfstoff.

Wir empfehlen, dass die Patienten im Eigeninteresse ihren Arzt auf den Einsatz dieses Vierfachimpfstoffes hinweisen sollten. Die Impfung mit einem Dreifachimpfstoff gegen Grippe schützt zwar immer noch vor allem gegen die Influenza A-Viren (H1N1 und H3N2) und Influenza B der Victoria-Linie, jedoch wirkt der trivalente Impfstoff nach Einschätzung des RKI aktuell nur eingeschränkt. Allerdings sei hinzugefügt, dass regelmäßig gegen Grippe Geimpfte über einen gewissen Schutz verfügen, da zum Beispiel der Grippeimpfstoff aus der Saison 2015/2016 einen Impfschutz gegen Influenza B der Yamagata-Linie erzeugt hat.“

Ist eine Grippeimpfung jetzt noch sinnvoll – und wenn ja, für wen?
Prof. Carlos A. Guzmán: „Der Aufbau des Impfschutzes nach der Impfung dauert etwa 14 Tage. Da die Grippewelle erst anläuft, ist eine Grippeschutzimpfung noch sinnvoll. Empfohlen wird sie für alle Menschen über 60 Jahre, für Menschen mit chronischen Erkrankungen, durch die eine Ansteckung mit der Grippe wahrscheinlicher oder deren Verlauf möglicherweise schwerer ist, sowie für medizinisches und Pflegepersonal. Die speziellen Alters- und Risikogruppen müssen allerdings noch gezielter angesprochen werden. Laut RKI lassen sich nur die Hälfte der über 60-Jährigen und 24 Prozent der chronisch Kranken zwischen 18 und 59 impfen, obwohl sie besonders gefährdet sind. Auch für alle Schwangeren ist die Impfung ab dem zweiten Trimenon empfohlen, bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens schon ab dem ersten Trimenon. Ärzte sollten deshalb ihre Risiko-Patienten aktiver zum Impfen einladen.“

Warum brauchen wir in jedem Jahr einen neuen Grippeimpfstoff?
Prof. Klaus Schughart: „Das Influenzavirus ist in der Lage, seine Oberflächenstrukturen, die von unserem Immunsystem erkannt werden und für die Inaktivierung des Virus wichtig sind, sehr schnell zu verändern. Daher tauchen etwa alle 2-3 Jahre neue Virusvarianten auf, gegen die wir keine Immunität besitzen, und der Impfstoff muss deshalb jährlich an die neuen Varianten angepasst werden.“

Löst ein Virenstamm bei jedem Patienten eine gleichschwere Infektion aus?
Prof. Klaus Schughart: „Influenzainfektionen können einen schweren Verlauf nehmen und sogar tödlich enden. Die genauen Faktoren, die zu einem schweren Verlauf führen, sind beim Menschen vielfältig und noch weitgehend unbekannt. Wir haben im Tierexperiment beobachtet, dass genetische Prädispositionen zu einem schweren Verlauf führen können. Mäuse mit bestimmten Genmerkmalen sind sehr resistent gegenüber einer Infektion; andere Mausstämme sind extrem empfindlich. Beim Menschen konnte gezeigt werden, dass Varianten in bestimmten Genen mit einer höheren Prädisposition für schwere Erkrankungen assoziiert sind.“

Welche Hygieneregeln sind zu beachten?
Dr. Stefanie Castell: „Eine Ansteckung erfolgt überwiegend durch virushaltige Tröpfchen, wenn sie zum Beispiel beim Husten oder Niesen von Erkrankten ausgeschieden werden und über eine geringe Distanz auf die Schleimhäute der Atemwege von empfänglichen Personen gelangen. Eine Übertragung ist aber auch über Hände und Oberflächen möglich, die durch virushaltige Sekrete verunreinigt sind, wenn die Hand anschließend Kontakt zu Mund oder Nase hat. Um niemanden mit der Grippe anzustecken, sollte man Einweg-Taschentücher verwenden, in den Ärmel husten und die Hände regelmäßig gründlich waschen.“

Veröffentlichung: Januar 2018

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