Michael Kolbe - Ein Auge für die kleinsten Strukturen

Auf das einzelne Atom genau untersucht Michael Kolbe die Werkzeuge, mit denen Bakterien ihre Wirte infizieren. Seine Erkenntnisse helfen, die Strategien der Bakterien zu verstehen und neue Angriffspunkte für Therapien zu finden.

Über Jahrmillionen haben die Zellen höherer Lebewesen Mechanismen entwickelt, um Krankheitserreger abzuwehren. Doch auch die Erreger waren kreativ: So haben zum Beispiel gramnegative Bakterien wie Salmonellen oder Shigellen, die schwere Darminfektionen auslösen können, ein Werkzeug ausgebildet, mit dem sie die Wirtszellen austricksen: Mit einer molekularen Spritze, genannt Typ3-Sekretionssystem, injizieren sie Proteine in die Zelle und leiten so die Infektion ein. Michael Kolbe möchte diese ausgefeilten Werkzeuge bis ins kleinste Detail entschlüsseln. Er leitet die Abteilung „Strukturelle Infektionsbiologie“ des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, die am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) in Hamburg angesiedelt ist, und er hat eine Professur an der Universität Hamburg inne.

In Kolbes Gruppe arbeiten Physiker, Biologen und Mediziner daran, molekulare Mechanismen im Zusammenspiel von Bakterien und Wirtszellen von der Gewebeebene bis hinunter in den Sub-Nanometerbereich zu entschlüsseln. Das CSSB stellt dafür einzigartige Bedingungen zur Verfügung: Sicherheitslabore und die Lichtquellen des Teilchenbeschleunigers PETRA III liegen nur wenige Meter auseinander. „Experimente, die normalerweise einen logistisch aufwendigen Probentransfer erfordern, machen wir einfach im Labor nebenan. Dadurch können wir enorme Datenmengen generieren“, sagt Kolbe, „aber das stellt uns gleichzeitig vor die größte Herausforderung: verschiedene Forschungsansätze so zu kombinieren, dass sie bedeutende Ergebnisse liefern.“

Kolbe ist in einer Lehrerfamilie aufgewachsen und interessierte sich schon als Schüler für Chemie, Biologie und Physik. „Wie Moleküle in Lebewesen miteinander interagieren, hat mich schon immer fasziniert“, erinnert sich Kolbe.

Ich war besonders von der Fotosynthese beeindruckt und wollte wissen, wie Pflanzen auf molekularer Ebene funktionieren.

Michael Kolbe, Leiter der HZI-Abteilung „Strukturelle Infektionsbiologie“ 

Von seinem Interesse getrieben, studierte er Chemie an den Universitäten Paderborn und Hamburg mit dem Fokus auf Biochemie. „Meine größte Inspiration war später mein Doktorvater Dieter Oesterhelt am Max-Planck-Institut für Biochemie in München“, sagt Kolbe. „Er hat Biomoleküle mit physikalischen Methoden untersucht. Bei ihm ist mir bewusst geworden, dass ich genau das machen möchte. In sein Labor zu gehen, war ein Schlüsselmoment.“

Jetzt, da Michael Kolbe eine eigene Forschungsgruppe leitet, ist er selbst Inspiration für junge Wissenschaftler. Forschung sei nicht immer eine geradlinige Erfolgsgeschichte, sagt er. Auf dem Weg zu neuen Entdeckungen stünden viele Hürden: Experimente funktionieren nicht, Hypothesen müssen überdacht werden, Manuskripte werden abgelehnt. Für Kolbe gibt es nur eine Möglichkeit, damit umzugehen: Optimismus. So antwortet er auf die Frage nach einer Erfolgsformel: „Jungen Wissenschaftlern kann ich nur raten: ‚Habt keine Angst davor, Fehler zu machen oder vermeintlich dumme Fragen zu stellen. Bleibt optimistisch und glaubt an das, was ihr tut!‘“

Der kürzliche Umzug – mit der Familie und dem Labor – von Berlin nach Hamburg war auch eine Herausforderung. Nun genießt es Kolbe, die neue Stadt per Fahrrad mit seiner Frau und den drei Kindern zu entdecken. „Forscher verlieren im Labor manchmal das Zeitgefühl“, sagt er. „Da ist es wichtig, mal einen Schritt zurückzutreten und durch Zeit mit der Familie oder Freunden wieder Energie zu tanken.“

Portrait von Tatyana Dubich (deutscher Text: Andreas Fischer)

Veröffentlichung: Dezember 2017

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