06.11.2019
Ein Konzept gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft
Doktorandenvereinigung „N2“ erarbeitet Mechanismen, um Konflikten durch Missbrauch der Hierarchie vorzubeugen
Die Geschichte des jungen Doktoranden Tao Chongyuan endete in einer Tragödie – mit einem tödlichen Sprung aus dem sechsten Stock seiner Universität im chinesischen Wuhan. Wie die internationale Presse 2018 berichtete, waren diesem Vorfall persönliche Auseinandersetzungen mit seinem Mentor vorangegangen. Die Ursache dafür seien Zwang und Machtmissbrauch seitens des Mentors gewesen. Jener Zwischenfall markiert nur den Höhepunkt einer Reihe von ähnlichen Vorfällen, so auch an deutschen Forschungseinrichtungen, wobei es zum Beispiel um die Beilegung eines Patentstreites zwischen Doktoranden und ihrem Gruppenleiter sowie um Fälle sexueller Belästigung ging. Eines haben alle publik gewordenen Fälle gemeinsam: Das einseitige Ausnutzen des Machtgefälles zerstörte die Kommunikation und führte zum Vertrauensverlust zwischen Promovierenden und Mentoren. Mitunter folgten langwierige juristische Streitigkeiten ohne einen lösungsorientierten Ausgang.
Welche Mittel stehen Doktoranden in solch einer Situation derzeit zur Verfügung?
In Fällen wie den geschilderten können sich die Betroffenen zum Beispiel an die Ombudspersonen der entsprechenden Forschungseinrichtung wenden – in der Hoffnung auf Unterstützung und Aufklärung. Allerdings sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Konfliktlösung nicht immer vielversprechend, denn die Ombudspersonen sind lediglich für die Kontrolle, Aufdeckung und Sanktionierung von wissenschaftlichem Fehlverhalten verantwortlich. Für die Mediation von zwischenmenschlichen Konflikten sind sie weder geschult, noch ist diese Aufgabe für sie in den DFG-Richtlinien zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten vorgesehen. Dazu kommt, dass die Ombudspersonen meist aus der Mitte der Belegschaft gewählt werden und damit zum Teil tief mit den Strukturen vor Ort verwachsen sind. Eine unbefangene Beurteilung der Situation ist somit schwierig. Von Machtmissbrauch Betroffene können sich ebenso an Doktorandenvertreter, Mitglieder des Thesiskomitees, Kollegen sowie an den Betriebsrat wenden. Aber nicht jeder hat den Mut, sich diesem Personenkreis zu öffnen, denn deren Verbundenheit mit der eigenen Einrichtung und den Beschäftigten kann ein Opfer auch davon abhalten, sich zu offenbaren.
Maßnahmenkatalog zur Lösung machtbezogener Konflikte
Ein Zusammenschluss der Doktorandenvertretungen aus der Helmholtz-Gemeinschaft (Helmholtz Juniors), der Max-Planck-Gesellschaft (Max Planck PhDnet) und der Leibniz-Gemeinschaft (Leibniz PhD Network) – das Netzwerk „N2 – Network of Networks“ – hat im Mai 2019 ein Positionspapier zum Thema „Machtmissbrauch und Konfliktlösung“ veröffentlicht. Darin beschreiben die Vertreter die aus ihrer Sicht verantwortlichen Mechanismen, welche Machtmissbrauch und Konfliktentstehung begünstigen, und laden Direktoren, Betriebsräte sowie Graduiertenschulen der Forschungseinrichtungen zu einem thematischen Dialog ein.
Die vielschichtige Abhängigkeit von Promovierenden, steile Hierarchien sowie ein allseitiger, immenser Publikationsdruck beinhalten demnach besonders hohes Konfliktpotenzial. Zudem stellt das multikulturelle und äußerst facettenreiche Arbeitsumfeld in der Wissenschaft außergewöhnliche Herausforderungen an die verantwortlichen Führungskräfte. Das Netzwerk N2 schlägt daher zum Beispiel Betreuungsvereinbarungen sowie verpflichtende Good Scientific Practice-Kurse für neue Doktoranden vor. Auf Seiten der Führungskräfte, die mit der Ausbildung von Doktoranden betraut sind, fordert N2 eine stetige, verpflichtende Aus- und Weiterbildung der Führungskompetenz. Im Konfliktfall sollte zwingend der Schutz der Opfer und ihrer bisherigen Arbeit an oberster Stelle stehen. Das umfasst die Unterstützung bei einem Betreuerwechsel, mögliche Vertragsverlängerungen bei deutlich erschwerten Bedingungen sowie den Zugang zu einem ausgebildeten Mediator oder Psychologen. Die Beurteilung der Fälle von Machtmissbrauch sollte durch ein unabhängiges, einrichtungsfremdes Komitee auf der Basis eines zuvor abgestimmten Verhaltenskodexes vorgenommen werden. Nach abschließender Bewertung durch das Komitee sollten gegebenenfalls angemessene Maßnahmen gegen den Täter eingeleitet werden können.
Die Helmholtz Juniors begrüßen, dass an einigen Helmholtz-Zentren nach der Veröffentlichung des Positionspapiers Diskussionsrunden und Workshops durchgeführt wurden. Dies schafft hoffentlich Strukturen, die es den Doktoranden ermöglichen, ihre Promotion in einem sicheren und vertrauensvollen Umfeld durchzuführen. Im Hinblick auf die laufende Umfrage unter allen Promovierenden der Helmholtz-Gemeinschaft hoffen die Doktorandenvertreter nun darauf, dass das Thema Machtmissbrauch an weiteren Helmholtz-Zentren Beachtung findet.
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Dokumente (Download)
- N² Positionspapier (pdf, 98 kB)