Thomas Pietschmann: „Vorsicht ist besser als Nachsicht – das gilt auch für Infektionskrankheiten“

Weltweit sind etwa 70 Millionen Menschen chronisch mit dem Hepatitis C-Virus infiziert. Zu den Folgen gehören Leberentzündung, Zirrhose und Leberkrebs, die Erkrankung bleibt jedoch meist lange unentdeckt. Thomas Pietschmann vom TWINCORE in Hannover untersucht das Virus und arbeitet an der Entwicklung eines Impfstoffes, der zukünftig vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen soll.

Herr Pietschmann, was macht Hepatitis C so gefährlich?
Dass die Infektion mit dem Hepatitis C-Virus (HCV) häufig unbemerkt stattfindet. Das Virus wird durch Blut übertragen, bei uns heutzutage vor allem im Drogenmilieu, wenn Menschen gemeinsam Nadeln nutzen. Es verursacht eine chronische Infektion, die im Lauf der Zeit schwerwiegende Leberschäden auslösen kann.

Warum bleibt die Infektion unbemerkt?
Die Symptome ähneln am Anfang ein bisschen einer Grippe. Man fühlt sich abgeschlagen, fiebrig, und kann es nicht unbedingt sofort auf ein Leberproblem zurückführen, weil viele Krankheiten solche Symptome verursachen.

Und warum ist das Hepatitis C-Virus besonders erfolgreich?
Bei einer chronischen Infektion kann sich das Virus Jahre oder Jahrzehnte in einem Menschen vermehren. Das heißt, der Zeitraum, in dem das Virus übertragen werden kann, ist sehr groß. Vor der Entdeckung des Virus haben auch moderne medizinische Verfahren zur Verbreitung beigetragen. Denn wenn ich das Virus nicht kenne, kann ich nicht verhindern, dass es bei Bluttransfusionen und Organtransplantationen mit übertragen wird. Aber generell ist das Virus erfolgreich, weil es sich lange in einem Menschen vermehren kann. Die Frage ist: Warum wird es nicht vom Immunsystem ausgelöscht? Das liegt an biologischen Anpassungen des Virus, die ihm helfen, dem Immunsystem zu entkommen.

Wie genau gelingt das dem Virus?
Das Virus ist in der Lage, entscheidende Signalketten zu stören, mit denen das Immunsystem die Zellen auf virale Eindringlinge aufmerksam macht. Die Zellen können die Infektion dadurch nicht optimal signalisieren und der Aufbau einer effektiven Immunantwort gelingt nicht mehr. So kann sich das Virus dauerhaft einnisten und vermehren. Die hohe Replikationsrate von HCV ist ein weiterer wichtiger Faktor, der dazu beiträgt, dass das Virus sich so erfolgreich gegen das Immunsystem behauptet. Das Virus generiert unglaubliche Mengen von Nachkommen, die sich wie beim Menschen leicht voneinander unterschieden. Das führt zu einer riesigen Bandbreite unterschiedlicher Viren, was dem Immunsystem die Auslöschung weiter erschwert.

Das Virus kommt nur im Menschen vor, was für uns den Nachteil einer hohen Spezialisierung mit sich bringt. Aber könnte das auch die Ausrottung erleichtern?
Das ist ein wichtiger Punkt und letztlich auch ein Vorteil vor allem in der Impfstoff-Entwicklung. Wenn ein Erreger nur im Menschen vorkommt und die ganze Menschheit durchgeimpft wäre, könnte dieser Erreger sich nicht mehr vermehren und würde aussterben. Das ist in der Geschichte bereits für manche Erreger erreicht worden, für die Pocken beispielsweise. Auf der anderen Seite ist die Spezialisierung des Virus für die Forschung eine Erschwernis, weil neue Impfstoffe natürlich nicht sofort am Menschen getestet werden können. Um überhaupt erstmal sinnvolle Impfkandidaten auszuwählen, sind experimentelle Befunde notwendig. Solche Versuche kann man nur in begrenztem Umfang an kultivierten Zellen durchführen, denn das Immunsystem lässt sich ja nicht ganzheitlich in eine Kulturschale übertragen. Deswegen braucht man auch Tiermodelle, die die Infektion widerspiegeln. Und da liegt das Problem: Wenn Hepatitis C-Viren sich nicht in Tieren vermehren, gibt es kein Tiermodell, an dem man die Wirksamkeit eines Impfstoffes prüfen kann.

Wo setzen Sie bei der Impfstoffentwicklung an?
Wir haben letztlich drei Schwerpunkte. Der erste setzt in der Klinik an, wo wir mit Ärzten der Medizinischen Hochschule Hannover kooperieren, die HCV-infizierte Patienten behandeln. Zusammen untersuchen wir, welche Immunantworten die Patienten auf das Virus bilden. Unsere Fragestellung lautet: Gibt es unter den vielen Tausenden Patienten an der MHH Menschen mit besonders guten Immunantworten? Der Fokus liegt hier auf den Antiköpern. Wir wollen nachvollziehen, wie besonders gute Antikörperantworten in Menschen entstehen und an welcher Stelle sie das Virus treffen. Diese Kenntnis der natürlichen Immunität bildet die Basis für unseren zweiten Forschungsbereich, in dem wir eigene Impfkandidaten entwickeln und prüfen. Den dritten Schwerpunkt bilden Untersuchungen zur Spezialisierung von HCV. Wir wollen verstehen, warum sich das Virus nicht in anderen Tieren, Mäusen beispielsweise, vermehren kann. Nicht nur, um die Biologie des Virus zu entschlüsseln, sondern vor allem auch, um Tiermodelle entwickeln zu können.

Mit welchen Methoden arbeiten Sie?
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Impfstoffe zu entwickeln. Eine ist die Verabreichung einzelner Erreger-Bestandteile, zum Beispiel Eiweiße. Eine weitere sind virale Vektoren, also Viren, die Eiweiße eines anderen Virus tragen. Diese werden dann als infektiöse Viren verabreicht und lösen die Immunantwort aus. Und dann gibt es die Impfung mit lebenden Viren, die als abgeschwächte Varianten verabreicht werden und die schützende Immunantwort induzieren. Wir verfolgen vor allem eiweißbasierte Ansätze und wollen letztlich diese Eiweiße so verändern, dass sie noch immunogener sind, also eine breitere und hoffentlich besser schützende Antikörperantwort induzieren. Wenn wir wissen, welche Eiweiße gut geeignet sind, möchten wir sie auf viralen Vektoren einsetzen, da ein viraler Vektor eine stärkere Immunantwort auslöst als ein einzelnes Protein. Dazu läuft auch ein Kooperationsprojekt mit dem HZI: Gemeinsam mit der Abteilung von Luca Cicin-Sain prüfen wir Vektoren, die auf dem Zytomegalie-Virus basieren, als Transporter für HCV.

Warum ist die Entwicklung eines Impfstoffes so wichtig? Reicht es nicht aus, bestehende Infektionen zu behandeln?
Das hängt damit zusammen, dass HCV global verbreitet ist. Über 70 Millionen Menschen tragen dieses Virus - ohne Behandlung teilweise ein Leben lang - und können es weiterverbreiten. Es ist nicht möglich, das Virus einfach von heute auf morgen mit Wirkstoffen auszulöschen. Zweitens wissen viele Menschen durch den anfangs sehr unspezifischen Verlauf gar nichts von ihrer HCV-Infektion. Es ist ein riesiger Aufwand, alle zu diagnostizieren und zu behandeln. Als Drittes ist das Virus auch in Populationen verbreitet, die sich nur schwer behandeln lassen. Unter Drogenabhängigen zum Beispiel, die nicht unbedingt Zugang zu den besten Medikamenten haben oder gar nicht erst zum Arzt gehen. Aktuell gibt es in den USA auch eine neue Opioidkrise, immer mehr Menschen werden drogenabhängig. Im Zuge dessen steigt die Prävalenz von HCV dort eher an, als dass sie abfällt. Die beste Art und Weise, einen Infektionserreger zu kontrollieren, ist die Übertragung von vornherein zu verhindern. Ideal wäre eine Kombination aus der Behandlung und einem Impfstoff, der die erneute Ansteckung verhindert. Denn auch das muss berücksichtigt werden: Selbst nach einer medikamentösen Heilung kann man sich immer wieder neu anstecken.

Interview: Helen Looney

Veröffentlichung: Mai 2019

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